Stellwerk Magazin

Mit Haltung

Vorwort

Ihre Blicke durchdringen, berühren, ziehen in ihren Bann. Unmöglich, achtlos an ihnen vorbeizulaufen: Mitten auf dem Kölner Ebertplatz schieben sich hohe Stellwände mit überlebensgroßen Porträts von insgesamt 57 Menschen in den Weg. Alle sind vor dunklem Hintergrund fotografiert, die Kamera ist nah an den Gesichtern. Sie tragen zum Großteil Alltagskleidung, manche lachen, andere schauen ernst. Einige von ihnen kennt man: Karl Lauterbach zum Beispiel, Serap Güler oder Sabine Leutheuser-Schnarrenberger. Aber nicht alle sind Politiker:innen. Es sind Menschen mit unterschiedlichen kulturellen und religiösen Hintergründen, aus unterschiedlichen Berufsgruppen und unterschiedlicher politischer Anschauungen. Doch die Bilder fangen etwas ein, das ihnen allen gemein ist: Es sind Menschen, die eine Haltung haben.

Im Weltbild einiger Gruppierungen ist für eine solche Vielfalt kein Platz. Und so verbindet die Porträtierten noch etwas: Sie alle stehen auf sogenannten Feindeslisten von Rechtsextremen, die im Internet kursieren – sie sind „Menschen – Im Fadenkreuz des rechten Terrors“. So lautet der Titel der Wanderausstellung des investigativen Recherchezentrums CORRECTIV und seiner Kooperationspartner. Die Ausstellung ist Teil eines umfangreichen Rechercheprojekts, das das Team von CORRECTIV mit mehr als 15 verschiedenen Journalist:innen regionaler Medien – darunter auch der Kölner Stadtanzeiger – und dem WEISSEN RING e.V. durchgeführt hat, um das Ausmaß und die Komplexität rechten Terrors in Deutschland zu beleuchten. Der Fotograf Ivo Mayr hat die Menschen getroffen, sie fotografiert und mit ihnen über ihr Leben gesprochen. Herausgekommen sind beeindruckende Fotos und Anekdoten, die zum Schmunzeln, aber auch zum Nachdenken anregen. Kleine Ausschnitte daraus werden als Zitate neben den Fotos gezeigt und verraten etwas darüber, wer der Mensch vor der Kamera ist.

Das Projekt „Menschen – Im Fadenkreuz des rechten Terrors“ ist aus einer Zusammenarbeit des Recherchezentrums CORRECTIV mit elf Regionalmedien und über 15 Reporter:innen entstanden, die zum Thema Rechtsextremismus und Terror recherchiert und ihre Erkenntnisse zusammengetragen haben. Das katapult-Magazin hat informative Grafiken erstellt, von denen einige auch Teil der Ausstellung sind, und der WEISSE RING e.V. gibt auf der Website Tipps für Betroffene. Daraus ist neben der Wanderausstellung zudem ein Buch entstanden, das dem Phänomen Rechtsterrorismus von verschiedener Seite auf den Grund geht. Die Wanderausstellung ist am 28.06. in Solingen gestartet und wird noch bis zum 08. November in verschiedenen deutschen Städten zu sehen sein.

Die Ausstellung startete Ende Juni in Solingen und macht noch bis November an insgesamt elf Stationen in ganz Deutschland Halt. Vom 20. bis 23. Juli wurde sie auf dem Kölner Ebertplatz gezeigt. 17 Jahre zuvor war hier einige Kilometer entfernt in Mülheim eine Nagelbombe explodiert, die 22 Menschen verletzte, vier davon schwer. Ein Anschlag des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU), der auf das Herz der türkischstämmigen Community in Köln zielte. Bereits 2001 hatte die Terrorgruppe einen Sprengsatz in einem deutsch-iranischen Lebensmittelgeschäft in der Probsteigasse detonieren lassen, der eine junge Frau schwer verletzte. Auch der NSU führte eine Feindesliste. Die Wanderausstellung zeigt auch Bilder solcher ortsbezogener Ereignisse. Daneben sind umfangreiche Recherchen zu rechtem Terror in ganz Deutschland Teil des Projekts. Diese werden auf der Internetseite, in dem zu der Ausstellung veröffentlichten Buch und teilweise über die Kanäle der Kooperationspartner veröffentlicht. Sie machen auf erdrückende Weise bewusst, wie real die Bedrohung ist – und wie leicht es ist, selbst ins Visier zu geraten.

Doch eine Gefahr läuft immer mit, wenn es darum geht, über Extremismus und Terror zu berichten: den Verantwortlichen genau das zu verschaffen, was sie wollen, und zwar Aufmerksamkeit. Terror ist ein Mittel der Einschüchterung. Es soll denen Angst machen, die den Zielen der Rechtsextremen entgegenwirken. Berichtet man darüber, bewirkt man unter Umständen genau das. Und im schlimmsten Fall ermutigt man sogar noch Nachahmer:innen. Aber die Medien haben auch die Aufgabe zu informieren. Nicht darüber zu berichten kann zur Folge haben, dass die Gefahr durch Rechtsextreme aus dem Blick gerät und nicht als akutes gesellschaftliches Problem wahrgenommen wird: Wie im Fall der NSU-Morde, wo die Ermittlungen sich auf das Umfeld der jeweiligen Opfer konzentrierten und eine Verbindung zum rechtsextremen Milieu erst gezogen wurde, als die Gruppe bereits aufgeflogen war. Berichterstattung ist also unerlässlich, aber wie?

Journalistin Ferda Ataman © Ivo Mayr Journalistin Ferda Ataman © Ivo Mayr

Ein Dilemma, das nach jedem Terroranschlag wieder heiß diskutiert wird. Zeigt man die Gesichter der Täter:innen, nennt man sie mit vollem Namen? Wie stellt man die Opfer dar? Das Projekt „Menschen – Im Fadenkreuz des rechten Terrors“ gibt eine mögliche Antwort auf diese Fragen, indem es zwei entscheidende Dinge richtig macht: Erstens, es berichtet und informiert über das Thema nicht nur dann, wenn gerade etwas passiert ist. Und zweitens gibt es den richtigen Akteuren eine Bühne – und auf die richtige Weise. Wenn ein Terroranschlag geschieht, ist das Chaos zunächst groß. Vieles ist noch ungewiss, selbst die Polizei hat nicht sofort einen Überblick über das Geschehen. Gleichzeitig ist die Stimmung aufgeheizt, die Menschen vor Ort sind in Panik, anderswo reagiert man mit Entsetzen. Unter diesen Umständen zu berichten, ist keine leichte Aufgabe, doch gleichzeitig ist das Informationsbedürfnis der Bevölkerung groß. Die Redaktionen müssen schnell entscheiden, was sie an die Öffentlichkeit geben. Für aufwendige und differenzierte Recherchen, die Monate in Anspruch nehmen, ist in diesen Momenten keine Zeit. Und danach? Passieren andere Dinge, und das Thema gerät in Vergessenheit – bis wieder etwas passiert. Dieses Projekt geht einen anderen Weg. Es nimmt jene permanente Bedrohung in den Blick, die für viele Menschen Teil des Alltags ist, aber oft unter dem Radar bleibt – gerade weil sie latent und nicht an ein bestimmtes Ereignis geknüpft ist. Das eröffnet einen Raum für Analysen, die in die Tiefe gehen, detaillierte Informationen und eine aufwendige Dokumentation. Das Material, das hier zusammengetragen wurde, ist von unschätzbarem Wert für eine Gesellschaft, die Extremismus in ihrer Mitte effektiv bekämpfen will.

Aber auch das „Wie“ der Darstellung ist in dieser Ausstellung auffällig gelungen. Die Bühne wird nicht den Terrorist:innen gegeben, sondern den Menschen, die für eine offene und vielfältige Gesellschaft stehen. Sie könnten als Opfer gelten, aber so werden sie nicht gezeigt. „Wir wollen ihnen ein Gesicht und eine Stimme geben“, schreibt CORRECTIV auf der Internetseite des Projekts. Das gelingt vor allem dank der Fotos. Ivo Mayr schafft es, die Stärke dieser Menschen, ihre innere Kraft, auf den Bildern einzufangen und das entfaltet eine beeindruckende Wirkung. Und doch hätte es vielleicht auch dazu gehört, zu erzählen, wie diese Menschen für eine vielfältige Gesellschaft einstehen. Welche Berufe sie ausüben, wo sie sich engagieren, welche Positionen sie vertreten. Die Macher:innen der Ausstellung haben sich bewusst dagegen entschieden. Neben den Porträts sind die Namen und ein Zitat der Person abgedruckt, sonst nichts. Was man nicht erfährt, sind die Hintergründe, die zu ihrem Eintrag auf der Liste geführt haben könnten. Dadurch erwächst der Eindruck, dass einem die wichtigsten Informationen vorenthalten werden. Vielleicht bricht sich in diesem Gefühl auch nur ein verkappter Voyeurismus bahn, den die Ausstellung gerade nicht bedienen will. Aber vielleicht wäre es dennoch die konsequentere Entscheidung gewesen, gerade das zu präsentieren, was diese Menschen für die Rechtsextremen zu Feinden macht. Denn das ist es, was sie für uns zu Helden machen sollte.

Vorschau- und Headerfoto: © Hüdaverdi Güngör

Hinweis der Redaktion: Die Autorin hat vor Erscheinen des Artikels im Rahmen eines Praktikums für CORRECTIV gearbeitet.

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Hier findet ihr weitere Informationen zur Ausstellung und zum Projekt auf der Website von CORRECTIV