Stellwerk Magazin

TransLit 2021 Poetikvorlesung reloaded

Vorwort

Im Rahmen der Kölner Poetikdozentur TransLit werden alljährlich Autor:innen eingeladen, deren literarisches Œuvre von transmedialem Arbeiten geprägt ist. Bereits 2020 ging diese Einladung an Schriftstellerin Iris Hanika, doch aufgrund der Corona-Pandemie musste die Veranstaltung um ein Jahr verschoben und 2021 dann fast vollständig online abgehalten werden. So stand die Poetikdozentur nicht mehr nur auf literarischer, sondern plötzlich auch auf organisatorischer Ebene vor transmedialen Fragestellungen. Grund genug, die erste digitale TransLit genauer zu betrachten: Was passiert, wenn eine Veranstaltungsreihe, die sich mit medialen Überschreitungen von Literatur beschäftigt, selbst zum Gegenstand medialer Transferprozesse wird?

© Helmar Mildner © Helmar Mildner

Knarzende Stühle, leises Lachen aus der benachbarten Sitzreihe und am Ende Applaus: Nach diesen Geräuschen, die sonst genauso zur Atmosphäre einer Poetikvorlesung gehören wie Papierrascheln oder ein gelegentliches Räuspern, lauschte man bei der diesjährigen TransLit vergeblich. Denn pandemiebedingt kamen die Poetikdozentin, Wissenschaftler:innen und Medienschaffende in diesem Jahr nicht in Hörsälen der Universität, sondern in Zoom-Meetings zusammen, die für das Publikum live auf YouTube gestreamt und aufgezeichnet wurden. Dementsprechend war das, was man als Zuschauer:in hörte, meist die vom eigenen Computerlautsprecher verzerrten Stimmen – oder auch mal gar nichts, nämlich immer dann, wenn niemand sprach, und die inzwischen für digitale Veranstaltungen so vertraute, seltsame Zoom-Stille eintrat.

Die Verschiebung in den virtuellen Raum hatte aber nicht zuletzt auch Auswirkungen auf den Dialog zwischen der Poetikdozentin und dem Publikum. Zwar konnten sich Zuschauer:innen mit nur einem Klick zur Veranstaltung einwählen, die Interaktion mit der frisch gekürten Preisträgerin des Leipziger Buchpreises Iris Hanika gestaltete sich aber weniger einfach. Besonders bemerkbar machte sich das während der Fragerunden, die im Anschluss an die virtuellen Podiumsgespräche stattfanden. Denn um Fragen an die Autorin zu stellen, musste man die Chatfunktion auf YouTube nutzen, oder eine E-Mail an das Organisationsteam schreiben. Dadurch war es nicht möglich, Rückfragen zu formulieren oder auf Antworten zu reagieren, was die Kommunikation sehr einseitig machte. Ähnlich einer Flaschenpost im Meer schienen die Publikumsfragen im virtuellen Raum umherzutreiben und teilweise unterzugehen. Zwar lässt sich nicht sagen, ob bessere technische Bedingungen auch zu mehr Interaktion geführt hätten, denn die Erfahrung während der Pandemie hat gezeigt, dass das Publikum digitaler Veranstaltungen häufig weniger diskussionsfreudig ist. Dass eine solche Flaschenpost-Kommunikation den Austausch zwischen Autorin und Publikum erschwerte, wurde indes von Abend zu Abend deutlicher.

Besonders für die Studierenden des Masterstudiengangs Theorien und Praktiken professionellen Schreibens (TuPpS) bot die TransLit bislang sonst immer eine einmalige Gelegenheit, sich mit renommierten Autor:innen über das Schreiben auszutauschen. Denn der Master ist eng an die TransLit angebunden und so lebt die Poetikdozentur normalerweise auch davon, dass Studierende und Autor:innen ins Gespräch kommen – nicht nur während der Veranstaltungen, sondern auch nach dem offiziellen Teil: „Bei der ersten TransLit war der Austausch zwischen Poetikdozent Marcel Beyer und einigen Studierenden so rege, dass sie im Anschluss noch in eine Kneipe gewechselt sind und dort bis zum nächsten Morgen diskutiert haben“, erzählt Christof Hamann, Professor am Institut für Deutsche Sprache und Literatur I und wissenschaftlicher Leiter sowie Mitorganisator der TransLit. Solch spontane und informelle Zusammenkünfte waren in diesem Jahr nicht möglich. Stattdessen wurde der Bildschirm nach Veranstaltungsende einfach schwarz und ließ jede:n Zuschauer:in allein zurück.

Auch wenn die Studierenden diesmal nicht bei Kölsch, Cola und Kippen mit der Autorin diskutieren konnten, eröffnete ihnen das digitale Format stattdessen indirekt die Gelegenheit, etwas Eigenes zu publizieren: in dem Buch, das im kommenden Jahr im Verlag der Buchhandlung Klaus Bittner zur diesjährigen die TransLit erscheinen wird. Bisher fungierten die TransLit-Bände als eine Art Archiv der Veranstaltungsreihe, weshalb in vergangenen Jahren Transkripte der geführten Gespräche darin viel Raum eingenommen haben. Diese Funktion wird 2021 von YouTube übernommen, denn die virtuellen Veranstaltungen können dort nach wie vor angesehen werden und sollen auch erst einmal online verfügbar bleiben. Dadurch ist die TransLit nicht nur einem breiteren Publikum zugänglich, sondern in der Publikation stehen so auch mehr Seiten zur Verfügung. Diese Seiten können nun mit selbstgeschrieben Texten der TuPpS-Studierenden befüllt werden, die sie im Rahmen einer Schreibwerkstatt mit Poetikdozentin Hanika produziert haben. Die Digitalität hat so an anderer Stelle buchstäblich neuen Raum geschaffen, um studentische Leistungen noch stärker einzubeziehen.

Dennoch scheinen die Chancen, die sich durch den medialen Transfer in die digitale Umgebung eröffnet haben, nicht gänzlich ausgeschöpft. Bezüglich der Form etwa, die Hanika in ihren Texten besonders wichtig ist: „Wonach ich immer strebe, was ich mir immer wünsche, ist ein wildes Buch, eines, in dem alle Textformen nebeneinander bestehen“, verkündete sie bei der Auftaktveranstaltung. Diese Wildheit hätte begleitend zum mündlichen Vortrag stärker veranschaulicht werden können, zum Beispiel beim Werkstattgespräch über Hanikas Roman „Echos Kammern“, das als einziges in Form einer Hybridveranstaltung in Anwesenheit der Gesprächsteilnehmer:innen auf einem gemeinsamen Podium abgehalten werden konnte. Die große Leinwand über der Literaturhaus-Bühne hätte sich ideal geeignet, um Textpassagen einzublenden und damit die Sprünge zwischen griechischer Mythologie, Hexameter-Versmaß und Naturbeobachtung innerhalb des Romans aufzuzeigen. So wäre die Formvielfalt als das zentrale Merkmal von Hanikas Schreiben noch anschaulicher geworden. Auch im Hinblick auf die Veranstaltung selbst wäre an mancher Stelle ein bisschen formale ‚Wildheit‘ wünschenswert gewesen.

Der mediale Transfer vom Hörsaal ins Internet hat die TransLit verändert. Ihre Atmosphäre und der Austausch aller Beteiligter waren 2021 anders als in den Jahren zuvor. Dabei gingen zwischen Zoom-Meeting und YouTube-Stream vor allem das Leichte, Ungezwungene und Menschliche der Veranstaltungsreihe verloren, und damit auch ein kleiner Teil ihrer Essenz. Was jedoch gleich blieb, war der konstruktive Dialog über ein literarisches Werk und das Kennenlernen einer Autorin als ‚Person hinter den Worten‘ – trotz des erschwerten persönlichen Austauschs. Gleichzeitig hat sich für die TuPpS-Studierenden die Chance ergeben, erste Schritte in der Welt des Literaturbetriebs zu machen. Mit ein paar Abstrichen war die erste digitale Ausgabe der TransLit also ein Erfolg – besonders wenn man bedenkt, dass das Organisationsteam durch die Pandemie vor völlig neue Herausforderungen gestellt wurde. Nicht zuletzt lässt sich daraus auch lernen: So überlegt Christof Hamann bereits, in Zukunft hybride Modelle anzuwenden und die TransLit auch bei der Rückkehr zur Präsenz parallel online zu streamen, um sie für ein größeres Publikum zu öffnen. Es bleibt zu hoffen, dass bald wieder gemeinsam im Hörsaal diskutiert werden kann – und sowohl Flaschenpost-Kommunikation als auch Zoom-Stille dann der Vergangenheit angehören.

Vorschaufoto: © Helmar Mildner

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Hier findet ihr alle Links zu den Aufzeichnungen der diesjährigen TransLit-Veranstaltungen auf der Website der Philosophischen Fakultät