Stellwerk Magazin

TransLit 2021 Formspiele und Autorschaft

Vorwort

Iris Hanika war die fünfte TransLit-Poetikdozentin des Instituts für Deutsche Sprache und Literatur I der Universität zu Köln. Während der insgesamt vier Abende umfassenden Veranstaltungsreihe zeigte sich die Wahlberlinerin mal mehr und mal weniger auskunftsbereit. Richtig redebegeistert wurde sie erst, sobald es um die pure Schreib- und Formarbeit ging, die eigentliche Profession einer Autorin. Sie sagt: „Schreibenwollen hat nichts mit Erzählenwollen zu tun.“ Dieses Statement wirft Fragen auf. Inwiefern schließt ein „Schreibenwollen“ denn ein „Erzählenwollen“ aus?

„Wie gesagt, es geht um die Form, nicht um den Inhalt.“

Man stelle sich ein Sandförmchen am Strand vor und die Materialien, mit denen man es befüllen könnte. Die Möglichkeiten erscheinen vielfältig; egal ob Wasser, Sand, Steine oder Muscheln, das Sandförmchen schreibt keine Regeln vor. Auch Schriftsteller:innen befüllen Formen – konkret Bücher. Bis hierhin trägt also das Befüllen eines Sandförmchens als Metapher für das Befüllen einer Buchform mit Wörtern. Die reine Lust am Schreiben, das „Schreibenwollen“1https://www.youtube.com/watch?v=wNyiOJFdfk4, wie Iris Hanika es mit Bezug auf Roland Barthes nennt, und die zweckferne Freude, die das Spiel mit dem Sandförmchen bereitet, erweisen sich als äquivalent idyllische Zustände. Warum auch nicht? Wer oder was würde den Autor oder die Autorin denn daran hindern, einfach nur zu schreiben? Doch so einfach ist es nicht. „Jeder Autor weiß, dass das Schreiben von Büchern hierzulande nicht genug ist. Er muss sich seine Leser verdienen, indem er Auskunft gibt. Über sich, über das Schreiben. Aus Urheberrecht folgt Urheberpflicht“2Zeh, Juli: Treideln. Frankfurter Poetikvorlesung an der Goethe-Universität, Frankfurt am Main. München: Random House 2015, S. 15., so stellte es Literatin Juli Zeh 2013 im Rahmen ihrer Poetikvorlesung an der Frankfurter Goethe-Universität fest. Entscheidend ist eben leider nicht das Spiel, sondern das, was bei der Befüllung eines Sandförmchens herauskommt; was für eine Sandburg präsentiert wird – davon hängt letztendlich ab, ob man als renommierte:r Sandburgenbauer:in bei den Großen mitspielen darf. Für Autor:innen bedeutet das außerdem: Der Wille zum reinen Schreiben ist so lange romantisch konnotiert, bis man die literarischen Ergüsse an die Öffentlichkeit vertreiben möchte. Denn das Buch mag geschrieben sein, aber damit ist die Autor:innen-Rolle noch nicht erfüllt. Bücher wollen auf Lesungen, Messen und in Interviews zugänglich gemacht werden, die Leserschaft möchte meist über den Inhalt und selten über die Form diskutieren und Autor:innen müssen über kurz oder lang diesen Trubel mitmachen. Denn von irgendetwas müssen sie ja schließlich leben, um das nächste Schreibbedürfnis stillen zu können. Auch Iris Hanika ist diesen Spielregeln unterworfen, aber sie dreht den Spieß einfach um und erlaubt sich ihre ganz eigene Gewichtung von Form und Inhalt, die sie im Vergleich mit einem der meistgelesenen und kommerziell erfolgreichsten Autoren der Gegenwart – Stephen King – erläutert. Während der Auftaktveranstaltung zur TransLit erklärt sie in ihrem Poetikvortrag „Based on a True Story (Plauderei mit Fußnoten)“: „Der große Unterschied zwischen uns ist, dass er sich sehr für seine Geschichten interessiert und sein Werkzeug braucht, um sie so zu erzählen, dass man sie lesen will, während ich die Geschichte nur brauche, um mein Werkzeug zu benutzen. Daraus resultiert der weitere große Unterschied, dass er nämlich Weltbestseller schreibt und ich – nicht.“3https://www.youtube.com/watch?v=wNyiOJFdfk4

Hanika mag (noch) keine Weltbestsellerautorin sein, gewinnt aber während der Poetikdozentur 2021 den Preis der Leipziger Buchmesse für ihren Roman „Echos Kammern“ und reiht sich somit sehr wohl in eine Liste erfolgreicher Autor:innen ein. Während für Hanika das Schreibenwollen selbst, das Benutzen der Werkzeuge im Vordergrund steht, setzt Stephen King – so zumindest Hanikas Unterstellung – sein Werkzeug in erster Linie dafür ein, ein Produkt zu formen. Bleibt es damit eine Art bitterer Widerspruch des Schreibhandwerks, dass ein schriftstellerisches Œuvre nur rezipiert und geschätzt wird, wenn auch der Inhalt stimmt? Und: Wie füllt Hanika denn nun ihren Inhalt, wenn sie laut eigener Aussage eigentlich nichts erzählen möchte?

Am letzten Abend der TransLit findet im Literaturhaus Köln ein Werkstattgespräch zwischen Hanika und den TransLit-Verantwortlichen Christof Hamann und Christian Seebald statt. Hier wird ein umfassender Einblick in das Innere des Romans „Echos Kammern“ (2020) geboten. In der folgenden Aufzählung der Erkenntnisse dieses Abends enthüllt sich Hanikas Schreiben als ein in erster Linie eklektizistisches Verfahren: Die Namen der Protagonistinnen (Roxana und Sophonisbe) sind der Barockliteratur nachempfunden, das Ende von „Echos Kammern“ stammt von einer Naturbeobachtung, die Hanika zufällig auf ihrer Festplatte gefunden hat, auf den Mythos von Echo und Narziss nimmt sie Bezug, weil ihrer Meinung nach verliebte Frauen zu oft gegenüber Männern ihre Stimme verlieren und in der Hexameterform wollte sie sich einmal ausprobieren, weil diese ihr schon in der „Odyssee“ aber auch in Goethes „Hermann und Dorothea“ Freude bereitet hat. Allein diese kurze Liste lässt Iris Hanika als eine Art Sammlerin erscheinen. Sie schnappt hier und dort etwas auf, liest, hört und sieht viel und bündelt all das anschließend neu. Damit legt Hanika in ihren Werken einen eigenen literarischen Vorrat an, eine wilde Zusammenstellung an Wörtern, Versmaßen, griechischen Mythologien oder sogar Songtexten, wie in „Tanzen auf Beton“ (2012). Würde man in den Worten von „Echos Kammern“ sprechen, könnte man sagen, Iris Hanika überführt ihr Schreibenwollen in ihre ganz persönliche „lengevitch“4Hanika, Iris: Echos Kammern. Graz/Wien: Literaturverlag Droschl 2020, S. 8.: Eine eigene Sprache, ähnlich der, die sich die Autorin für ihre schreibende Protagonistin ausgedacht hat.

Auf diese Weise löst Hanika als Hauptakteurin der Poetikvorlesung das Spannungsfeld zwischen erforderlicher Performanz auf der Literaturbühne und schlichter Realität einer individuellen Schriftstellerin auf. Schließlich entspricht sie als Sammlerin nicht direkt der stereotypisierten Idee, nach der eine Autorin immer auch als Ausdeuterin der eigenen Werke fungieren muss. Alles, was in die eigenen Werke einfließt, ist letztlich ein Echo dessen, was sie einmal gelesen, gesehen und gehört hat. „Ja, anders kann man ja gar keine Bücher schreiben“, findet Hanika. Dass sie dabei noch überaus genau und präzise bleiben möchte, wenn sie z. B. in „Treffen sich zwei“ (2008) detailliert wie eine Reiseführerin über Berlins Straßen(-kreuzungen), Cafés und Parks spricht, ist für sie nur ein weiteres formgebendes Merkmal, das beim Verteilen der Wörter auf der Seite das Schreibhandwerk ausmacht. Denn: „Die beglückendsten Momente beim Romanschreiben sind die letzten Seiten, wenn plötzlich alles an seinen Platz fällt und die Sache rund wird, als hätte man das geplant.“5https://www.youtube.com/watch?v=wNyiOJFdfk4 Ob Iris Hanika also eher by accident zur Literatin geworden ist? Auf jeden Fall ist sie eine Autorin, die schreiben will – und dabei (ob sie will oder nicht) etwas zu erzählen hat.

Headerfoto: Hello I'm Nik on Unsplash

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Hier findet ihr alle Links zu den Aufzeichnungen der diesjährigen TransLit-Veranstaltungen auf der Website der Philosophischen Fakultät