Stellwerk Magazin

„Irritation finde ich immer gut“

Vorwort

„Blickabtausch“ heißt ein neues Format am Schauspiel Köln, das von den Theaterpädagoginnen Nina Mackenthun und Saliha Shagasi ins Leben gerufen wurde. Die beiden wollen damit vor allem jüngere Menschen zwischen 16 und 28 Jahren erreichen, etwa Auszubildende und Studierende, die Lust haben, zusammen mit anderen ins Theater zu gehen, aber manchmal einfach nicht wissen, wohin oder mit wem. „Blickabtausch“ will hier Abhilfe schaffen: Zu angekündigten Terminen gibt es die Möglichkeit, sich als Gruppe ein Stück anzuschauen, um sich anschließend miteinander auszutauschen. Das Ganze soll flankiert werden von einer Plattform, auf der die Teilnehmenden ihre Ideen zu dem jeweiligen Stück – zum Beispiel in Form einer Theaterkritik oder eines Gedichts – veröffentlichen können. Der erste „Blickabtausch“ fand Ende November zu Herta Müllers „Atemschaukel“ in einer Inszenierung von Bastian Kraft statt. Wir treffen Nina und Saliha zum Interview.

Als Theaterpädagoginnen arbeitet ihr ja häufig mit Kindern und Jugendlichen zusammen. Sind jüngere Altersgruppen aus eurer Sicht im Theater generell zu wenig vertreten? Und wenn ja: Wie arbeitet ihr dagegen an?

Nina: Erst einmal muss man fairerweise sagen, dass die Stücke, die wir hier zeigen, meist erst ab 16 Jahren zu empfehlen sind. Es gibt Ausnahmefälle, zum Beispiel beim Import Export Kollektiv, dem jungen Ensemble am Schauspiel Köln, weil dort selbst junge Erwachsene auf der Bühne stehen. Ich merke aber, dass die Theaterworkshops, die wir anbieten, sehr wertvoll sind, weil wir unsere eigene Theaterbegeisterung darüber an die Teilnehmenden weitergeben können. Neulich hatten wir eine Gruppe weniger theateraffiner Teilnehmer:innen im Workshop, die ursprünglich gar keine Lust hatte, sich im Anschluss „Nathan der Weise“ anzuschauen. Interessant fand ich aber, dass der Workshop ihnen tatsächlich einen Perspektivwechsel gegeben hat: Sie konnten selbst in Nathans Rolle schlüpfen, etwas ausprobieren, in seinem Namen herumspinnen, so tun, als wüssten sie über sein Leben Bescheid. Dieses Ausprobieren, Fragen stellen, mit dem Theater überhaupt erst in Berührung kommen, das ist ganz wichtig.

Saliha: Was uns hilft, ist, sich immer wieder mit der Dramaturgie am Haus auseinanderzusetzen und zu beraten, welche Stücke interessant sein könnten für junge Menschen. Denn ich glaube, dass das ganz stark etwas mit der Repräsentation zu tun hat – nicht nur der Schauspieler:innen auf der Bühne, sondern auch der Inhalte, mit denen sich die Zuschauer:innen identifizieren. Die Tanzstücke zum Beispiel, die wir hier zeigen, werden von vielen jungen, internationalen Menschen besucht – weil Tanz ohne Sprache funktioniert. Die Theaterstücke besuchen diese Menschen aber nicht, weil sie im Zweifel kein Deutsch verstehen. Das Schauspiel Köln arbeitet zum Beispiel gerade daran, einige Stücke zu übertiteln – und dann haben wir schon wieder eine neue Gruppe, die wir erreichen können. Wir schauen, wie wir das an die Stadt kommunizieren können und stellen uns die Frage: Bei welchen Inhalten am Theater ergibt es Sinn wen anzusprechen? Die Community-Arbeit ist also insgesamt sehr wichtig, da sind wir in der Abteilung aber noch in den Anfängen.

Atemschaukel © Schauspiel Köln / Birgit Hupfeld Szene aus „Atemschaukel“ © Schauspiel Köln / Birgit Hupfeld

Ihr möchtet ja mit eurem neuen Konzept „Blickabtausch“ vor allem junge Menschen im Theater versammeln und zum gemeinsamen Vorstellungsbesuch animieren. Wie kam euch die Idee dazu? Sind konkret Personen auf euch zugekommen oder gibt es gar Vorläufer an anderen Theatern?

Nina: Es gibt hier am Haus schon ein Format namens „Guckklub“, das sehr erfolgreich ist, und sich grundsätzlich an alle richtet, vor allem aber von Pädagog:innen wahrgenommen wird. Die Idee ist, dass man sich vor der Vorstellung zu einem Warming-Up trifft, zum Beispiel in Form eines Denkanstoßes oder einer kleinen Interaktion, um ins Thema einzusteigen. Danach hat man die Möglichkeit, sich innerhalb dieser Gruppe auszutauschen. So ist die Idee entstanden, dass es schön wäre, wenn es so etwas wie den „Guckklub“ auch für Jüngere gäbe, die hier vielleicht noch niemanden kennen oder niemanden haben, mit dem oder der sie ins Theater gehen können. Ich glaube, dass es tatsächlich häufig so ist, dass in einem Deutschkurs oder in einer Ausbildungsstelle vielleicht eine theaterinteressierte Person sitzt – und der Zugang wird durch so eine Art Club definitiv erleichtert.

Saliha: Unser Ziel ist es mit „Blickabtausch“ eine zusätzliche Plattform zu bieten, auf der junge Menschen sich kreativ ausleben können. Das kann auch kritisch-konstruktiv sein, zum Beispiel in Form einer Theaterkritik. Grob liegt die Altersgrenze dabei zwischen 16 und 28 Jahren, aber das ist nur ein ungefährer Richtwert.

Nina: Es muss eben passen. Wichtig ist uns nur, dass die Älteren nicht einfach das Zepter übernehmen, sodass die Jüngeren sich nicht trauen etwas zu sagen. Den „Guckklub“, der offen für alle ist, gibt es ja schon. Innerhalb des Formates „Blickabtausch“ wollen wir also auch einen Schutzraum bieten und deshalb mit einer altersmäßig homogeneren Gruppe zusammenarbeiten.

Saliha: Damit die Gruppe nicht ganz homogen ist, sollen neben den Studierenden auch gezielt Auszubildende angesprochen werden, weil diese statistisch seltener freiwillig ins Theater gehen – und für die, die das doch schon tun, soll es eben auch ein Format geben. Außerdem ist das eine gute Gelegenheit, die eigene Bubble zu verlassen – übrigens auch für uns!

Wie ist die „Blickabtausch“-Premiere bei „Atemschaukel“ verlaufen?

Nina: Beim ersten „Blickabtausch“ gab es elf Teilnehmende, alles Studierende, die sehr aufmerksam und zugewandt waren, was gerade für den Anfang natürlich super war. Es soll bei uns immer einen sinnlichen Einstieg zum jeweiligen Stück geben, gerne sollen die Teilnehmenden dabei auch physisch aktiv werden, und das haben wir auch diesmal so gehandhabt: Allein, dass man nicht sitzt, sondern sich vom Platz erhebt, verunsichert und irritiert oft schon. Und so eine Irritation finde ich immer gut!

Saliha: Wir beiden haben ja die dankbare Position, dass alle Teilnehmenden mit hoher Wahrscheinlichkeit freiwillig da sind und Lust darauf haben. Das macht dann auch uns sehr viel Spaß! Zumal es ja auch anstrengend ist, sich abends noch einmal zu motivieren, aktiv zu sein – normalerweise konsumiert man so ein Stück ja nur. Wir haben zum Beispiel ein Konzentrationsspiel gemacht, bei dem man sich Namen merken musste. Außerdem haben wir mit einer kleinen Kartoffel gearbeitet, weil es in „Atemschaukel“ viel um Hunger geht und sich am Ende eine Schauspielerin ganz viele Kartoffeln in ihr Kostüm stopft. Im Anschluss haben wir uns das Stück dann angeschaut und alle waren sehr fokussiert. Ich hatte das Gefühl, dass die Teilnehmenden während der Vorstellung überhaupt nicht miteinander gesprochen haben. Das fand ich sehr interessant, zumal das Stück überhaupt keine leichte Kost ist, sowohl inhaltlich als auch sprachlich. Man wird konfrontiert mit einer sehr dichten Sprache und krassen Bildern, die man erst einmal entschlüsseln muss – entsprechend erschlagen waren danach auch alle. Unser Ziel ist es aber nicht, das Stück nach der Vorstellung noch einmal komplett durchzusprechen, sondern nur das Wichtigste miteinander auszutauschen. Bis zum nächsten Mal können die Teilnehmenden dann überlegen, ob sie etwas produzieren möchten, aber freiwillig, ganz ohne Zwang. Bei den nächsten Terminen wollen wir am Anfang noch eine Reflexion vom letzten Mal einbauen.

Welche Stücke stehen sonst noch an und wisst ihr schon, in welchen Zeiträumen ihr euer Format künftig anbietet?

Nina: Der nächste Termin ist am 9. Januar, wo wir uns „Früchte des Zorns“ nach dem Roman von John Steinbeck in der Regie von Rafael Sanchez anschauen – ein Stück, das wir beide noch nicht kennen.

Saliha: Darin geht es um die Lüge des American Dreams, weshalb der Stoff, denke ich, sehr gut zur Lebensrealität der Auszubildenden und Studierenden passt, die sich ja auch in einer Form des Aufbruchs befinden und wie wir alle nicht frei von kapitalistischen Versprechen sind. Der Abstand zum letzten Termin wäre dann anderthalb beziehungsweise zwei Monate, das heißt, wir schauen mal, was es in zwei Monaten für ein interessantes Stück gibt, mit dem wir uns beschäftigen können.

Haben euch schon Veröffentlichungsideen erreicht? Gibt es etwa bereits den Blog, den ihr angekündigt hattet?

Nina: Nein, noch nicht. Ich glaube, wir müssen uns der Sache kleinschrittiger und pädagogischer nähern, zum Beispiel durch einen konkreten Schreibanlass als Einstieg, um den Zugang insgesamt zu erleichtern. Ich hatte beim letzten Mal den Eindruck, dass die Teilnehmenden sich noch nicht für so wichtig gehalten haben, dass sie sich getraut hätten, uns einen Beitrag zu schicken.

Saliha: Oft habe ich das Gefühl, dass komplette Freiheit auch überfordert, wenn man anderes gewohnt ist. Ich denke, wir werden uns beim nächsten Mal im Vorhinein ein bestimmtes Format überlegen, zum Beispiel ein Gedicht oder eine Theaterkritik, und dann fragen, wer Lust hat, sich dazu bis zum nächsten Mal etwas zu überlegen. Also kleiner anfangen, Vorgaben machen. Wir arbeiten jedenfalls weiter dran!

Vielen Dank für das Interview!

Vorschau- und Headerfoto: © Schauspiel Köln

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Hier findet ihr die Termine für den nächsten „Blickabtausch“ auf der Website des Schauspiel Köln.