Stellwerk Magazin

Clubfeeling im Museum

Vorwort

Während Clubs seit Anfang Dezember pandemiebedingt wieder geschlossen sind, widmet der Düsseldorfer Kunstpalast derzeit unter dem Titel „Electro. Von Kraftwerk bis Techno“ der elektronischen Musik eine große Ausstellung. Damit stellt erstmals ein Museum in Deutschland nicht nur die spannende Entstehung und Entwicklung der elektronischen Klangerzeugung umfassend dar: Die grandiose Ausstellung beleuchtet auch Musikströmungen wie Detroit Techno, Chicago House und Hip-Hop der 1980er Jahre sowie die in den 1990er Jahren aufkommende Rave- und Clubkultur. Damit bietet die Schau vor allem denjenigen, die sich nach langen Clubnächten sehnen, eine echte Alternative.

Kraftwerk Der Katalog – 1 2 3 4 5 6 7 8 Roboter 3D Konzert © Peter Boettcher Courtesy Sprüth Magers Die Düsseldorfer Elektro-Pioniere bekommen ein eigenes Kapitel innerhalb der Ausstellung gewidmet. Kraftwerk, Der Katalog – 1 2 3 4 5 6 7 8, Roboter 3D Konzert © Peter Boettcher, Courtesy Sprüth Magers

Schon vom hellen Museumsflur des Kunstpalasts aus hört man die wummernden Bässe dröhnen, die mit „mehr als 120 Beats pro Minute“, wie es die Ausstellung definiert, die über 500 Exponate akustisch begleiten. Der legendäre französische DJ Laurent Garnier hat einen eigenen Soundtrack zur Ausstellung „Electro. Von Kraftwerk bis Techno“ zusammengestellt. Garnier greift darin die Geschichte und den Geist der elektronischen Musik auf – von der Disco-Ära im New York der 1970er Jahre bis zum aktuellen futuristischen Techno – und bietet damit ein immersives, clubähnliches Erlebnis. Auf Leuchttafeln kann man nachlesen, welche der elf produzierten Playlists man gerade zu hören bekommt.1Eine vollständige Liste der Musikmixe findet ihr hier

Ein großer, gelb leuchtender Smiley des französischen Künstlers Bruno Peinado begrüßt die Besucher:innen beim Betreten der Ausstellung, die chronologisch aufgebaut und interaktiv gestaltet ist. Zusätzlich zur Musik und den Wandtexten gibt es zahlreiche Video- und Hörstationen, in die man über Kopfhörer eintauchen kann. Über 500, zum Teil auch interaktive Ausstellungsstücke beleuchten aus den unterschiedlichsten Perspektiven die Musikrichtungen, die unter dem Begriff „Elektronische Musik“ zusammengefasst werden, und zeigen vielfältige Verbindungen zur Kunst und zeitgenössischem Design auf. Die großartigen Exponate machen nicht nur besondere Klänge erlebbar, sondern erinnern auch „an die Stimmung von Euphorie und Gemeinschaft in Clubs, Raves und Festivals“, wie es in einer offiziellen Pressemitteilung heißt.

In den vergangenen Jahren war die Ausstellung bereits in Paris und London zu sehen, für die Präsentation in Düsseldorf hat sie Co-Kurator Alain Bieber, der künstlerische Leiter des NRW-Forums, maßgeblich erweitert. Im Musée de la musique, das der Pariser Philharmonie angegliedert ist, lag der Fokus auf Daft Punk und French House, im Londoner Design Museum ging es dagegen in erster Linie um den Second Summer of Love Ende der 1980er Jahre in England. Im Kunstpalast liegt nun der Schwerpunkt auf dem Gesamtwerk des bis heute weltweit einflussreichsten Multimedia-Projekts Kraftwerk, das Anfang 1970 von Ralf Hütter und Florian Schneider in Düsseldorf gegründet wurde. Hütter ist das letzte verbliebene Mitglied der Originalbesetzung und hat an den Vorbereitungen zur Ausstellung entscheidend mitgewirkt. Er hat nicht nur Kontakte zu den Musiker:innen hergestellt, sondern auch spektakuläre Leihgaben vermittelt, wie zum Beispiel die Kostümteile des französischen Elektro-Duos Daft Punk, das sich vergangenes Jahr offiziell auflöste.

Studio für elektronische Musik, WDR Köln, v.l.: Mesias Maiguashca und Karlheinz Stockhausen, 1971 © Foto: Werner Scholz / Stockhausen-Stiftung für Musik Studio für elektronische Musik, WDR Köln, v.l.: Mesias Maiguashca und Karlheinz Stockhausen, 1971 © Foto: Werner Scholz / Stockhausen-Stiftung für Musik

„Electro. Von Kraftwerk bis Techno“ führt die Besucher:innen durch die mehr als 100-jährige Geschichte der elektronischen Musik, die seit ihren Anfängen immer wieder neue Generationen zum Tanzen bringt. Fernab von der Tanzfläche entwickelten geniale Erfinder:innen im frühen 20. Jahrhundert Maschinen und Apparaturen, die elektronische Musik überhaupt möglich gemacht haben, und so beginnt auch die Düsseldorfer Ausstellung in den musikalischen Laboratorien und Studios. Zur Illustration der vielverzweigten Entwicklung der elektronischen Klangerzeugung startet man mit der Präsentation einer detaillierten Zeitleiste, die mit einer umfangreichen Auswahl unzähliger Maschinen und Instrumenten bestückt ist. Von den ersten elektronischen Instrumenten wie dem 1926 vom russischen Komponisten Nikolai Obuchow in Paris entwickelten, berührungsfrei zu spielenden Musikinstrument Croix Sonore, bis hin zu Geräten wie dem Gmebaphone 2 von Christian Clozier oder der Drum-Machine TR-909 von Roland. Der Zeitstrahl endet im Jahr 2021 mit der Veröffentlichung des Albums „Anarchic Artificial Intelligence“ (AAI) von Mouse on Mars. Das Elektro-Duo aus Düsseldorf und Köln, namentlich Jan St. Werner und Andi Toma, entwickelte gemeinsam mit der Berliner Agentur Birds on Mars eine KI-Software. Diese diente als Kompositionspartner für das neue Album und wurde mit der Stimme des Autors und Kulturwissenschaftlers Louis Chude-Sokei gefüttert, der zum Verhältnis von Technologie und „race“ forscht, und sich in seinen Texten auch mit künstlicher Intelligenz beschäftigt.

Riesige Apparaturen, historische Musikinstrumente und frühe Synthesizer aus dem Kölner Studio für elektronische Musik des WDR, in dem der Komponist Karlheinz Stockhausen wirkte, sind hier erstmals in dieser Form zu sehen. Darunter auch Stockhausens Rotationstisch mit beweglichen Lautsprechern, der sich um die eigene Achse drehen und Klangbewegung aufnehmen kann. Gegenüber liegt das „imaginäre Studio“, das der französische Musiker Jean-Michel Jarre aus seiner persönlichen Sammlung seltener Synthesizer eigens für die Ausstellung konzipierte.

Dem ortsspezifischen Schwerpunkt entsprechend wird den Düsseldorfer Elektro-Pionieren Kraftwerk ein ganzes Ausstellungskapitel gewidmet. Es zeigt die ikonischen Roboter-Figuren der Bandmitglieder, die zu einer neuen Medienkunst aktualisiert wurden. Darunter gelangen die Besucher:innen in einen großen Raum, den Hütter als 3D-Erlebnisraum inszeniert hat. Auf dem Bildschirm laufen 3D-Filme, die jeweils für die legendären Konzeptalben von Kraftwerk stehen. Eine Licht-Zahl zeigt an, welches ihrer acht Alben zu hören bzw. zu sehen ist.21 „Autobahn“ (1974), 2 „Radio-Aktivität“ (1975), 3 „Trans Europa Express“ (1977), 4 „Die Mensch-Maschine“ (1978), 5 „Computerwelt“ (1981), 6 „Techno Pop“ (1986), 7 „The Mix“ (1991) und 8 „Tour de France“ (2003). Bester Raumklang und 3D-Brillen machen ihre „industrielle Volksmusik“ besonders eindrücklich erlebbar.

Im nächsten Teil der discohaft anmutenden Ausstellung geht es um einschlägige Locations der Techno-Szene, um das Publikum auf der Tanzfläche und die globale Rave- und Clubkultur, wie wir sie bis heute kennen. Zahlreiche Videoprojektionen und Fotografien zeigen legendäre Orte und ekstatisch tanzende Menschen in Clubs oder bei Raves. Ein riesiger Discokugel-Totenkopf wirft Lichtpunkte an die Wände der abgedunkelten Räume, die optisch an einen Club erinnern. Beeindruckende Kunstwerke ergänzen die Schau, wie zum Beispiel ein nachgebautes Modell des legendären Berliner Clubs Berghain von Philip Topolovac oder ein tanzender Roboter aus Metallstäben des Künstler-Duos 1024 Architecture aus Paris. Dazwischen finden sich unzählige künstlerisch gestaltete Plattencover und Flyer zu Techno-Events, die als Zeitzeugen wilder Clubnächte einen visuellen Eindruck der Partyatmosphäre vermitteln.

Andreas Gursky: May Day III, 1998 © Andreas Gursky / VG Bild-Kunst, Bonn, 2021 Courtesy Sprüth Magers Andreas Gursky: May Day III, 1998 © Andreas Gursky / VG Bild-Kunst, Bonn, 2021 Courtesy Sprüth Magers

Neben Kraftwerk werden auch die Arbeiten des aus der Düsseldorfer Becher-Klasse hervorgegangenen Fotokünstlers Andreas Gursky in einem größeren Raum gewürdigt. Gursky ist langjähriger Begleiter der Techno-Szene und präsentiert hier eine Auswahl seiner Werke. Darunter monumentale Aufnahmen seiner Serie „May Day“, die zwischen 1997 und 2006 im Rahmen des gleichnamigen Rave-Events in den Westfalenhallen Dortmund entstanden sind, Abzüge des legendären Frankfurter Techno-Clubs Cocoon und eine weitere, noch nie gezeigte Fotoarbeit, die im Rahmen des Düsseldorfer Techno-Festivals Connect entstanden ist.

Die Ausstellung bietet eine Rückschau auf die Anfänge vor mehr als 100 Jahren, nimmt aber auch die Zukunft der elektronischen Musik in den Blick. Das letzte Kapitel ist mit „Künstliche Intelligenz“ überschrieben. „Sie ermöglicht neuartige Kompositionen und Mensch-Maschine-Interaktionen“, wie es in einem der Wandtexte heißt. Liegt die Zukunft also darin, dass Algorithmen und KI bald in der Lage sind, selbst Musik zu komponieren? Bei der Installation des Computerspiels „gAAIme“, einem Remix des aktuellen Albums „AAI“ von Mouse on Mars, können die Besucher:innen schon einmal reinhören. Ist man schließlich am Ende angelangt, bietet die von einem etwa 100 Seiten umfassenden Katalog begleitete Ausstellung sogar noch einen Bonustrack. Im Stockwerk über der eigentlichen Schau zeigt die Fotoserie „Vom Bleiben“ von André Griesemann und Daniel Schulz leere Clubräume und dokumentiert so die Spuren durchtanzter Nächte. „Electro. Von Kraftwerk bis Techno“, so viel steht fest, erinnert wehmütig an das Leben vor der Pandemie und kommt in Zeiten, in denen Clubs zu Corona-Testzentren umfunktioniert werden, einem Rave auf absehbare Zeit wohl am nächsten.

Die Ausstellung „Electro. Von Kraftwerk bis Techno“ läuft noch bis zum 15. Mai 2022 im Düsseldorfer Kunstpalast.

Header- und Vorschaufoto: Jacob Khrist: DJ und Musikerin Ellen Allien, Festival N.A.M.E., Roubaix, 2017 © Jacob Khrist

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Weitere Informationen zur Ausstellung und dem umfassenden Begleitprogramm findet ihr hier auf der Website des Düsseldorfer Kunstpalasts.