Stellwerk Magazin

Sex, Krieg und Alkohol

Vorwort

In vielen deutschen Haushalten ist es Tradition: Zu Weihnachten wird die „Sissi“-Filmtrilogie aus den 50er Jahren mit Romy Schneider geschaut. „Sissi“ ist Kult, Romantik und Nostalgie pur. Nun hat RTL+ seine eigene Serie über die verehrte Kaiserin von Österreich-Ungarn herausgebracht. Was hat der Streaminganbieter aus dem kitschig romantisierten Kaiserpaar gemacht?

RTL_Story House Pictures_Luis-Zeno Kuhn Foto: © RTL / Story House Pictures / Luis-Zeno Kuhn

Die Kamera wandert vom Bettende ihre nackten Beine entlang. Ein leises Stöhnen ist zu hören, während Sisi sich im Bett räkelt – eine Hand auf der Bettdecke, die andere bewegt sich sichtlich darunter. Schon in der ersten Szene wird klar, warum Carolin Ströbele ihre Rezension der neuen RTL+ Serie in der ZEIT mit „50 Shades of Sisi“ betitelt.

Neben „Sisi“ will RTL+ auch mit weiteren fiktionalen Eigenproduktionen und prominenter Besetzung bei den Zuschauer:innen punkten. Erst kürzlich wurde zum Beispiel die sechsteilige Serie „Faking Hitler“ veröffentlicht – mit Moritz Bleibtreu und Lars Eidinger in den Hauptrollen. Für den neuen Auftritt gab es auch einen neuen Namen: aus „TVNOW“ wurde „RTL+“. True Crime, Fiction, Fußball – all das gehört jetzt zum neu aufgesetzten Unterhaltungsangebot. Inhaltlich wie gestalterisch lässt sich jedenfalls eines sicher sagen: Die neue „Sisi“-Serie spielt qualitativ in einer ganz anderen Liga, als man es zum Beispiel von den Daily Soaps „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ oder „Unter uns“ gewohnt sein mag. Siegessicher wurde außerdem bereits vor Serienstart eine zweite Staffel angekündigt.

Doch nicht nur RTL hat Gefallen an dem Mythos um die beliebteste Kaiserin gefunden. Auch Netflix arbeitet mit „The Empress“ aktuell an einer neuen Sisi-Verfilmung in Form einer sechsteiligen Serie (Sommerhaus Filmproduktion), die noch im Frühjahr erscheinen soll. „Ich denke, es lag in der Luft, sich mit dieser fürchterlich idealisierten Frau neu zu beschäftigen“, vermutet Schauspielerin Dominique Devenport im Stern-Interview. Sie verkörpert die neue Sisi bei RTL+. Regisseur Sven Bohse sorgt jedenfalls dafür, dass das Motiv der Harmonie, wie man es aus den alten „Sissi“-Filmen kennt, im RTL+ Remake ausgedient hat. Der junge Kaiser, gespielt von Jannik Schümann, vergnügt sich im Bordell, lässt reihenweise Menschen erhängen und sich von seinem männlichen Stolz immer wieder zum Krieg hinreißen. Dem herrschsüchtigen Franz steht die unschuldige Sisi gegenüber – ein echter Freigeist, der gerade zu Beginn noch sehr kindlich und verspielt ist. Es folgt ein Wechsel aus innigem Sex, immer wiederkehrendem Streit und kühler Distanz. Oft möchte man durch den Bildschirm hindurch steigen, Franz an den Schultern nehmen und einfach schütteln. Dennoch gibt es immer wieder romantische Momente, in denen sich das Pärchen so nah ist, dass die Hoffnung auf grenzenlose 50er Jahre Harmonie kurzzeitig wieder aufkommt. Was beim Zuschauen emotional nur schwer zu ertragen ist, gibt der Handlung aber das gewisse Etwas und bremst den sonst so märchenhaften Sisi-Charakter aus. Chronologisch arbeitet Bohse die Lebensstationen des jungen Paares ab – mal mehr, mal weniger intensiv, mal in Ungarn, mal in Wien, oder auf Schloss Laxenburg. Trotz multiperspektivischer Erzählweise steht Sisi merklich im Mittelpunkt und es lässt sich gut vorstellen, wie es ihr wohl damals am Hof ergangen sein muss.

Betrachtet man die historische Person Kaiserin Elisabeth von Österreich-Ungarn (1837-1898), so stellt man fest, dass sie nicht dem klassischen Bild einer Kaiserin ihrer Zeit entsprach. Sisi wuchs zusammen mit sieben Geschwistern als Tochter eines Herzogs in Bayern auf. Sie genoss eine weniger klassische Erziehung und hielt sich viel in der Natur auf. Im Kontrast dazu stand ihr neues Leben, das sie mit gerade einmal 16 Jahren nach der Heirat mit Franz Joseph I. begann. In Wien galt das spanische Hofzeremoniell, das ihren ganzen Tagesablauf bestimmte. Kein Wunder also, dass die junge Frau sich gerade zu Beginn eingesperrt fühlte. Schon wenige Jahre nach der Hochzeit soll sie an Depressionen gelitten haben, vermutlich sogar an Magersucht. Aus Trotz begeisterte sie sich prinzipiell für alles, was am Hof geächtet war. So interessierte sie sich zum Beispiel sehr für das Land Ungarn und dessen Kultur. Schließlich wurde Sisi am 10. September 1898 auf dem Weg zum Schiffsanleger am Genfer See durch den italienischen Anarchisten Luigi Lucheni ermordet. Ihr Tod verstärkte den Mythos um die Frau zusätzlich, die den begehrtesten Junggesellen ihrer Zeit heiratete. Ein Mythos, der durch die bekannten Romy-Schneider-Filme, aber auch in zahlreichen weiteren Adaptionen in Form von Theaterstücken oder Musicals fortgeschrieben wurde.

Es stellt sich demnach die Frage: Wie realitätsgetreu ist die neue Sisi-Serie eigentlich? Devenport sagt im Stern-Interview dazu Folgendes: „[W]ir machen Fiction, die historischen Ereignisse sind eine Art Spielplatz, auf dem wir uns tummeln. Eine Inspiration.“ Eine klare Antwort. So bedient sich die Serie auch an dem Mythos, Franz habe zuerst Sisis Schwester Néné heiraten sollen, sich aber dann für Sisi entschieden.
Zwar wird das Bild der schönen Kaiserin und des glamourösen Lebens am Hof, wie es die Romy-Schneider-Filme suggerieren, durch RTL+ aufgebrochen. Dennoch schafft es die „neue“ Sisi nach wie vor, mit ihrer höfisch unkonventionellen, aber jederzeit liebevollen Art zu bezaubern – obwohl oder gerade weil sie immer wieder mit dem Kopf durch die Wand muss.

Header- und Vorschaufoto: © RTL / Story House Pictures / René Arnold