Stellwerk Magazin

Nein, es geht nicht noch leiser

Vorwort

„Resist! Die Kunst des Widerstands“ im Rautenstrauch-Joest-Museum endete am 9. Januar 2022. Die Ausstellung sollte jedoch nachhaltig einen Platz im Gedächtnis der Kölner Museen-Landschaft erhalten, denn sie setzte neue Maßstäbe – sowohl kuratorisch als auch atmosphärisch: Kulturelle Teilhabe war maßgebend für „Resist!“ – durch umfangreiche Informationsvermittlung, Intermedialität, Möglichkeiten zur Partizipation, Interaktion und eine Atmosphäre, die tiefe Betroffenheit und Wohlgefühl gleichermaßen zuließ. Dies stellte die Weichen für ein Publikum, das weder weiß und alt noch gebildet oder kunstaffin sein musste. Grund genug, um die Ausstellung retrospektiv noch einmal zu beleuchten.

Peter Magubane: Nanny and Child, Johannesburg 1956, Installationsfoto: © Lilly Schäfer Peter Magubane: Nanny and Child, Johannesburg 1956, Installationsfoto: © Lilly Schäfer

Eine Alltagsszene in Johannesburg 1956, festgehalten vom südafrikanischen Fotografen Peter Magubane: Weißes Spitzenkleid, zugeknöpfte Strickjacke, offenstehender Mund. Irritation liegt im Blick des weißen Kindes vor der Linse. Sein Wesen vermittelt Unschuld, kindliche Unwissenheit. „Ich kann doch nichts dafür!“ scheinen seine Augen zu sagen. Die Schwarze1Wir orientieren uns im STELLWERK an den Formulierungshilfen der Neuen deutschen Medienmacher:innen für eine differenzierte und vielfältige Berichterstattung. „Schwarz“ und „weiß“ sind politische Begriffe und beziehen sich nicht auf die Hautfarbe. Die Initiative „der braune mob e.V.“ schreibt: „Es geht nicht um ‚biologische‘ Eigenschaften, sondern gesellschaftspolitische Zugehörigkeiten.“ Um das deutlich zu machen, plädieren sie und andere dafür „Schwarz“ groß zu schreiben. Frau auf der anderen Seite der Parkbank wirkt alles andere als ertappt. Immerhin spielt sie brav nach den Regeln der britischen Kolonialherren. Apartheid braucht eben nur zwei Worte: „Europeans only“.

Mit einem „Ich kann doch nichts dafür“ kommen europäische Besucher:innen der Sonderausstellung „Resist! Die Kunst des Widerstands“ im Kölner Rautenstrauch-Joest-Museum nicht davon. Zu groß die Schuld. Zu einnehmend die Wut. Viel zu aktuell die Probleme. „Wir können sehr wohl etwas dafür“, erklärt die Ausstellung denen, die es immer noch nicht verstanden haben. Denn neben 500 Jahren Widerstand gegen Kolonialherrschaft thematisiert „Resist!“ postkoloniale Strukturen der Gegenwart, wie etwa verschiedene Ausprägungen von Alltagsrassismus. In fünf Kapiteln geben sich die Ausstellungsmacher:innen alle Mühe, einen Rundumblick in das Spektrum und die folgenschweren Konsequenzen der Kolonialisierung weltweit zu geben. Dabei steht jedoch nicht die Opferrolle der Unterdrückten im Vordergrund, sondern die unzähligen Formen des Widerstandes: von Verweigerung und Subversion bis hin zu Aufstand und Protest. Das Besondere, was das Museum in dieser Ausstellung leistet, ist die intensive Zusammenarbeit mit Betroffenen. So entstanden beispielsweise die „It’s Yours“-Räume, die von ausgewählten Künstler:innen und Aktivist:innen kuratiert wurden.

Ein Museumsbesuch impliziert für viele Menschen strukturelle Hürden. Diese definieren sich meist nicht einfach durch hohe Eintrittsgelder oder unpassende Öffnungszeiten, sondern vielmehr durch den elitären Charakter einiger dieser Institutionen. Kulturelle Veranstaltungen sind oft mit der Angst verbunden, „fehl am Platz“ zu sein, oder sich „falsch“ zu verhalten, doch das gilt nicht für „Resist!“ – im Gegenteil: Die Ausstellung ist nahbar, offen für Kritik und geht unter die Haut. Das Kurator:innen-Team bricht mit traditionellen Ausstellungsdispositiven und nimmt Distanz von akademisierten Museumsgewohnheiten. Informationsvermittlung auf Augenhöhe und eine Atmosphäre, die nach Hausschuhen verlangt, sind das Ergebnis dieses längst überfälligen Bruchs. In „Resist!“ haben Tränen einen Platz, genau wie Wut, Widerrede und laute Diskussion.

Raumansicht Foto © Lilly Schäfer Raumansicht, Foto: © Lilly Schäfer

Wir befinden uns wieder vor Magubanes eindringlichen Schwarzweißfotografien, die großflächig auf eine der Wände und den Boden gedruckt wurden. Nach einer 180-Grad-Drehung verlässt man den südafrikanischen Bereich und steht vor den Toren Namibias. Das tut besonders weh, denn in diesem Raum wird schmerzlich deutlich, dass Deutschlands Bemühungen nach einem Versöhnungsabkommen mehr als nur unzureichend sind. Die deutsche Regierung bekannte sich im Mai 2021 zwar endlich zu dem brutalen Völkermord an den Herero und Nama zu Beginn des 20. Jahrhunderts, doch die indigenen Gemeinden selbst waren weder an den Verhandlungen beteiligt, noch werden sie direkt die geplanten Reparaturzahlungen erhalten, die stattdessen an die namibische Regierung gehen.

Wieder einen Schritt weiter und man erhält Einblicke in Länder wie Nigeria, Indien, Indonesien, Neuseeland, Kongo, Senegal, Mosambik, Algerien, Chile, Peru, Kuba, Guatemala, die Philippinen, Tibet und zu guter Letzt natürlich auch Deutschland. All diesen Ländern wurden eigene Räume, kleine Ecken oder zumindest einzelne Kunstwerke gewidmet. Billie Holidays Stimme untermalt die spannungsgeladene Stimmung mit ihrer Adaption von „Strange Fruit“, einem Protestsong gegen Lynchmorde in den Südstaaten der USA: „Blood on the leaves and blood at the root, black bodies swingin' in the Southern breeze.“ Gleichzeitig prasseln Informationsfetzen einer Führung auf einen ein, nebenan diskutieren zwei Menschen lauthals und auf der anderen Seite des Raumes vernimmt man die Stimme einer grummeligen Frau: „Geht das auch ein bisschen leiser?“

Man wird erdrückt, überflutet und immer wieder abgelenkt von Informationen, Geräuschen, Kunstwerken und den eigenen Gefühlen. Gut so. Das scheinbare Chaos des labyrinthartigen Aufbaus und die geistige Überforderung ist der wohl sinnbildlichste Weg, um die realen Ausmaße der Kolonialgeschichte zu erzählen. Hinter Ecken und Vorhängen, auf dem Boden und den Säulen, überall sind Kunstwerke versteckt. Denn auch überall auf der Welt sind postkoloniale Strukturen zu finden. Erzählt wird dies in jeder nur erdenklichen künstlerischen Ausdrucksform: Installation und Skulptur, Film und Performance, Musik und Malerei, Poesie und Literatur zeigen die Bandbreite von 500 Jahren Widerstand. Überforderung ist also nicht nur eine Begleiterscheinung, sondern scheint als gewollt gesetztes Stilmittel in Kraft zu treten. Betroffenheit versteht sich von selbst, reicht aber nicht aus. Konzentration und vollkommene Bereitschaft, die Geschichte und ihre Strukturen zu verstehen ist das Mindeste, was hier von den Besucher:innen eingefordert wird.

„Library of Resistance“ / „Prozessraum - Bibliothek des Widerstands“, Foto: © Lilly Schäfer Library of Resistance / Prozessraum – Bibliothek des Widerstands, Foto: © Lilly Schäfer

Die Ausstellung spielt dabei mit einer harmonischen Disharmonie aus Irritation und Wohlfühlfaktor. Einer Wechselwirkung aus emotionaler Reizüberflutung und Entschleunigung. Denn genau dann, wenn Kopf und Herz zu platzen drohen, machen sich Räume für Verarbeitung auf: Bänke, Sitzpolster und Tageslicht lassen durchatmen. Stift und Papier lassen Gedanken zu Worten werden. Wände, Boden und eine Box, vollgekleistert mit Zitaten, Meinungen, Botschaften regen zur Auseinandersetzung an. Bunte Teppiche und Kissen laden zum Verweilen ein, während Monitore die bereits gesammelten Informationen in gegenwärtige Realität umwandeln: „Gute Ausländerin“ und viele weitere Kurzfilme des Vereins „Coach e.V. – Kölner Initiative für Bildung und Integration junger Migrant*innen“ zum Thema Diskriminierung schaffen Alltagsbezug und befördern Identifikation mit Betroffenen.

„Resist!“ setzt dabei keinerlei Vorwissen voraus, weder um die politischen und historischen Inhalte noch um die ausgestellte Kunst zu verstehen. Denn jedes noch so kleine Kunstwerk wird sorgsam erläutert und in den notwendigen Kontext eingebettet. Demokratisierung ist die Devise! Diese findet sich auch in der Präsenz von sogenannten Live-Speaker:innen wieder: Themen-Expert:innen, die mehrmals pro Woche vor Ort sind, um Fragen zu beantworten und einen kritischen Austausch zu ermöglichen.

Dass frischer Wind im Rautenstrauch-Joest-Museum weht, ist wohl nicht zuletzt der Verdienst der durchaus progressiven Direktorin Nanette Snoep, die erst seit Anfang 2019 in Köln und am RJM ist. Sie hat sich der Erarbeitung dekolonialer Strukturen im RJM und damit auch der Rückgabe von museumseigener Raubkunst verschrieben. „Resist!“ war die erste große Sonderausstellung der Niederländerin in Köln und hat durchaus seine Spuren hinterlassen. Auf der Webseite des Museums findet man im Digitalraum von „Resist!“ noch Teile der Ausstellung wieder – etwa die Kurzfilme des Vereins „Coach e.V.“ sowie Informationen, Literaturtipps, Videobeiträge, aktuelle News und aufgenommene Talks rund um das Thema (Post-)Kolonialismus, Widerstand und die Ausstellung selbst. Im Sinne einer kulturellen Teilhabe wurden in „Resist!“ zwar noch lange nicht alle Barrieren abgebaut, aber mit Sicherheit kann man sagen: Hier wurden neue Maßstäbe gesetzt.

Header- und Vorschaufoto: Selma Selman, You Have No Idea, Performance, 2016, Künstlerin des It’s Yours! Raumes von Timea Junghaus © Zoltan Adam, courtesy of Gallery8

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