Stellwerk Magazin

Sichtbarkeit ist Trumpf: Das Projekt 365 fe*male MCs

Vorwort

Künstlerinnen wie Loredana, Badmómzjay oder Shirin David sind schon lange keine Seltenheit mehr in den deutschen Hip-Hop-Charts und brechen mit ihrer Musik sogar regelmäßig Rekorde. Shirin David gelang 2021 mit ihrem Album „Bitches brauchen Rap!“ nicht nur der bis dato erfolgreichste Streamingstart einer deutschen Künstlerin, ihr Album landete sogar auf Platz vier der internationalen Spotify Top Debut Charts und ist somit eines der meist gestreamten Alben weltweit.

Trotzdem werden fe:male1Mit der Schreibweise ‚fe:male‘ soll verdeutlicht werden, dass auch nicht-binäre, inter* und trans* Personen hier gemeint sind. Aus technischen Gründen gendern wir im STELLWERK Magazin mit dem Doppelpunkt. MCs zumindest in der kommerziellen Musikwelt häufig nicht mitgedacht und auf den Line-Ups großer Festivals und den Bühnen der Clubs bleiben MCs jenseits einer heteronormativen Cis-Männlichkeit die Ausnahme. Schuld daran sei laut Booker:innen, Veranstalter:innen, Medienschaffenden und vielen männlichen MCs die Tatsache, dass es kaum talentierte fe:male Rap-Artists in der Szene gäbe. Lina Burghausen aka DJ Mona Lina hat genug von diesem Vorurteil und startet 2018 das Projekt 365 female* MCs. Innerhalb eines Jahres stellt sie in insgesamt zwölf Blogeinträgen 365 weibliche, nicht-binäre, inter* und trans* rappende Personen vor. Ihr Ziel: Der Musikwelt zu zeigen, dass es mehr talentierte fe:male MCs als Tage im Jahr gibt. Dafür arbeitet sich die junge Musikpromoterin zwischen November 2018 und Oktober 2019 durch 40 Jahre Rap-Geschichte und entdeckt dabei weltweit Künstler:innen, die in unterschiedlichen Stilen, in den verschiedensten Sprachen und über vielfältige Themen rappen. Von US-Legenden wie Missy Elliot, Nicki Minaj und Cardi B, über deutsche Künstlerinnen wie Cora E., Sookee und Haszcara, hin zu internationalen Artists wie Soultana aus Marokko, Siri aus Indien oder Gabylonia aus Venezuela – die Bandbreite der vorgestellten Rapper:innen könnte nicht größer sein.

Die Musikwelt ist begeistert. Die Resonanz bleibt durchweg positiv. Das Ziel, mehr Sichtbarkeit für fe:male Artists zu schaffen, scheint erreicht. Und noch viel mehr: In einem Interview mit dem Hip-Hop-Magazin Backspin.de erzählt DJ Mona Lina, dass sich Rapper:innen bei ihr bedankt haben. Sie hätten durch ihr Projekt neuen Mut fassen können, um weiter für ihre Leidenschaft zu kämpfen und somit als marginalisierte Personen in einer cis-männlich dominierten Hip-Hop-Welt zu bestehen. Zusätzlich hat Burghausen ganz nebenbei ein Netzwerk für fe:male Rap-Artists geschaffen, das die Szene dringend nötig hatte. Haben sich viele Rapper:innen früher oft allein unter den zahlreichen cis-Männern gefühlt, so haben sie heute die Möglichkeit, sich untereinander auszutauschen, gemeinsam Musik zu machen und sich gegenseitig zu unterstützen.

Für ihre eindrucksvolle Arbeit wird die junge Bloggerin 2019 im Rahmen des Reeperbahnfestivals mit dem International Music Journalism Award in der Kategorie Beste musikjournalistische Arbeit unter 30 Jahren ausgezeichnet. Mit diesem Preis möchten die Organisierenden des Reeperbahnfestivals jungen, kreativen und innovativen Journalismus in der Musikbranche fördern und junge Menschen ermutigen, sich wie Lina Burghausen kritisch mit der Musikbranche auseinanderzusetzten.

Aus dem einjährigen Projekt ist mittlerweile eine fortlaufende, international ausgerichtete Blogserie mit einer 40 Personen starken Redaktion geworden. Die zwölf Blogeinträge sind inzwischen als einzelne Portraits der Künstler:innen auf einer eigenen Internetseite sowie auf dem Instagramprofil @365femalemcs zu finden. Farbenfrohe Illustrationen lassen einen in die bunte Vielfalt des fe:male Raps eintauchen. Die Vielzahl von über 1.100 Portraits aus über 45 Ländern ist beeindruckend. Täglich kommen neue Artist hinzu. Die dazugehörige Spotify-Playlist mit Songs der vorgestellten MCs macht es einem leicht, auch die musikalische Diversität des fe:male Raps zu erkunden. Durch den Wechsel zur englischen Sprache erhält die Blogserie eine internationale Ausrichtung, die eine bisher so nicht dagewesene weltweite Vernetzung von marginalisierten rappenden Personen ermöglicht. Erst vor Kurzem entschied sich die Redaktion um Lina Burghausen für einen Wechsel der Schreibweise des Projektnamens und so wird aus 365 female* MCs fortan 365 fe*male MCs. Damit reagiert die Redaktion auf den Diskurs der queer-feministischen Community und erklärt die neue Schreibweise wie folgt: „Durch das Sternchen zwischen ‚fe‘ und ‚male‘ wollen wir einen Raum schaffen, der zwischen den binären Geschlechtern steht, und deutlich macht, dass wir auch nicht-binären, inter* und trans* Personen einen Platz in diesem Projekt bieten möchten.“

Was als Trotzreaktion auf das weitverbreitete Vorurteil, es gäbe keine talentierten Frauen im Hip-Hop, begann, ist nun zu einer der bedeutendsten Plattform für die Sichtbarkeit von weiblichen und queeren Rapper:innen geworden. Mit ihrem Projekt liefern DJ Mona Lina und ihre Kolleg:innen allen Kritiker:innen und Ungläubigen einen unwiderlegbaren Beweis dafür, dass es sehr wohl zahllose talentierte fe:male MCs weltweit gibt. Gleichzeitig eröffnet die Bloggerin Hip-Hop-Interessierten die Möglichkeit, ihren musikalischen Horizont zu erweitern und bietet vielen jungen Menschen eine Auswahl an weiblichen Vorbildern, welche die Rap-Szene so bitter nötig hat. Das Sexismusproblem des Hip-Hops ist damit zwar nicht gelöst, doch zumindest kann in Zukunft auf die entstandene „Datenbank“ von internationalen Rap-Artists verwiesen werden, wenn für das nächste Hip-Hop-Festival mal wieder fast ausschließlich männliche Künstler gebucht wurden.

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