Stellwerk Magazin

Sexualkunde mit Witz

Vorwort

Für die beiden Schauspielerinnen Amor Schumacher und Mirjam Radovic ist „Der Ursprung der Welt“ eine performative Umsetzung persönlicher wie politischer Überzeugungen. Dabei wird die Arbeit an Liv Strömquists gleichnamigem Comic passenderweise selbst zum Ursprung: Mit Gründung des Künstler:innenkollektivs Firma F. schaffen Schumacher und Radovic einen Raum für mehr Zusammenarbeit in der freien Kunst- und Theater-Szene Kölns und Berlins. Der Einstand ist vielversprechend.

Besetzung:

Szenische Einrichtung: Janine Maschinsky und Adnan Kostüm, Ausstattung, Layout: Christina Halbfas Haare und Make Up: Adnan Assistenz: Filips Goncaruks

Es spielen: Amor Schumacher und Mirjam Radovic

Was haben Frauenkörper1Der Begriff ‚Frau‘ wird hier intersektional und inklusiv verstanden. Auf weitere Marker wird der besseren Lesbarkeit wegen verzichtet. und Weltgeschichte gemeinsam? Einiges, wenn man bedenkt, dass die NASA noch 1972 die Skizze einer nackten Frau zensierte. Deren Vulvalippen2Analog zu Strömquist und der Firma F. wird auf den wertenden Begriff ‚Schamlippen‘ verzichtet und mit ‚Vulvalippen‘ eine neutrale Beschreibung verwendet. wurden zum Zweck der interplanetaren Kontaktaufnahme lieber ausradiert, wobei dem Mann Penis und Hoden erhalten blieben. Über diese Ungleichheit kann Liv Strömquist in „Der Ursprung der Welt“ die Außerirdischen nur den Kopf schütteln lassen. Dabei steht der Fauxpas der Raumfahrtbehörde nicht im luftleeren Raum: Erst vor wenigen Wochen haben beispielsweise die drei großen deutschsprachigen Schulbuchverlage auf Bemühungen der Lehrerin Sina Krüger hin ihre Abbildungen des weiblichen Genitalbereichs angepasst. Damit wird erst jetzt die Klitoris in Lehrbüchern als Teil der Vulva anatomisch korrekt dargestellt. Knapp 25 Jahre nach Entdeckung der wahren Größe des Organs zeigt das, wie sehr die Unsichtbarkeit weiblicher Geschlechtsorgane eine systematische ist.

Um Licht ins Dunkel zu bringen, lädt die Firma F. mit ihrer Inszenierung von Strömquists Comic zum Abend für „Genital-Genies und die, die es werden wollen“. Da wundert es nicht, dass die Wahl auf Strömquist gefallen ist: Als Politikwissenschaftlerin ist sie dafür bekannt, ihre feministischen Comics lehrreich zu gestalten und sich mit ihnen in den wissenschaftlichen Diskurs einzuschreiben. Quellenangaben inklusive. Auf der Bühne fallen die zwar weg, dafür setzt man eklatanten Bildungslücken aus drögem Geschichts- und Biologieunterricht hier aber eine Kollektiverfahrung entgegen. Für Kurzentschlossene sorgt am Schluss der Büchertisch für die volle Portion Strömquist’sche Aufklärung und selbstverständlich ist hier auch der 2017 in der deutschen Übersetzung erschienene Band „Der Ursprung der Welt“ dabei. Umso enttäuschender, dass an diesem Abend fast ausschließlich Frauen anwesend sind. „Ist das im Theater nicht immer so?“, fragt eine Zuschauerin ihre Begleitung. Und vielleicht hat sie recht.

Katharsis und Komik

Für solche Mutmaßungen bleibt viel Zeit, denn in Köln-Ehrenfeld ticken die Uhren anders. Mit 30 Minuten Verspätung geht die Performance mit massig Nebel und lauten Beats dann los. Der Sound zum Abend: Jon Lajoies „Show me your genitals“. Bevor die Vulva aber – im übertragenen Sinne – aufgedeckt und zur Schau gestellt werden kann, spielen sich Radovic und Schumacher in einem Schlagabtausch absurde Begriffe für Vagina und Vulva zu und etablieren damit den Status quo. Zwischen „Sackgasse“, „Penis-Garage“ und „Entsafter“ wird deutlich, dass das weibliche Geschlechtsorgan bei aller gesellschaftlicher Unsichtbarkeit immer wieder einer heteronorm männlichen Perspektive zum Opfer fällt. Eine exzentrische Darbietung und wilde 80er-Jahre-Frisuren sorgen dafür, dass es trotzdem lustig bleibt.

© Firma F. Amor Schumacher und Mirjam Radovic © Firma F.

Überzeichnete Szenen begleiten die von Strömquist zusammengetragene Geschichte der Vulva und machen das Sprechen über Grausamkeiten ohne pathetische Schwere überhaupt erst möglich. Während Schumacher etwa den von Klitorisverätzung schwärmenden Cornflakes-Erfinder Dr. Kellogg gibt, mimt Radovic mit einer im Schritt platzierten, auffällig raschelnden Packung Frühstücksflocken die erste Onanie des Abends. In kabarettistischer Manier kommt es in den folgenden Szenen immer wieder zu Rollenwechseln, die den Comic um eine Prise Firma F. ergänzen. Bei der Fülle an Material erzeugt das unzählige Höhepunkte und einen Lacher nach dem anderen. Für Radovic ist das aber kein Gegensatz: „Auch wenn man herzhaft lacht, verarbeitet man Dinge. Weinen und Lachen sind körperlich das gleiche. Es löst einfach.“

Bruch mit Strukturen

Bei aller theatralen Katharsis setzt das Kollektiv besonders auf die freie Form der Performance. So können Radovic und Schumacher den Text mit eigenen Erfahrungen anreichern und die Distanz zwischen Bühne und Publikum abbauen. Das birgt aber auch Tücken: Der Verzicht darauf, mit dem Bühnenraum eine andere, theatrale Welt zu behaupten, führt letzten Endes in die Belanglosigkeit und bei allem Disco-Flair bleibt der neonfarbige Chiffonhintergrund lediglich schmückendes Beiwerk. Dafür entschädigen wiederum die von Christina Halbfas gefertigten Wendejäckchen und Kopfbedeckungen. Die fleischfarbenen Rüschen der Kostüme sind – wie die Vulva selbst – völlig einzigartig. Das ist kunstvoll wie konsequent.

Herzstück des Abends ist aber definitiv seine Zugänglichkeit. Und gerade um die geht es den Performerinnen: „Die Strukturen im Theater sind angestaubt. Ich habe aber Hoffnung, dass vor allem jüngere Kunstschaffende sich neu organisieren und die Hierarchien langsam aufweichen“, meint Radovic. Mit radikaler Offenheit auf der Bühne und im Namen legt die Firma F. gut vor: Ob das ‚F.‘ nun für „Freiheit, Frauen“ oder „Ficken“ steht, Radovic und Schumacher wollen es sich offenhalten. Vielleicht ist das gerade genug kompromissloses Freiheitsbegehren, um die Geschichte der unsichtbaren Vulva zu erzählen und damit zwangsläufig neuzuschreiben. Dass die Klitoris erbsengroß sei, so viel ist sicher, wird nach diesem Abend niemand mehr behaupten.

Headerfoto: charlesdeluvio auf Unsplash / Vorschaufoto: © Firma F.