Stellwerk Magazin

Rezension "Hallo Köln! Hier ist Tschick!"

Vorwort

Nach dem Tod des Schriftstellers Wolfgang Herrndorf im Jahr 2013 ist sein drei Jahre zuvor erschienener und mehrfach ausgezeichneter Jugendroman “TSCHICK” zu neuer Popularität gelangt. Dieses Jahr steht er sogar auf dem Lehrplan der Schulen in Nordrhein-Westfalen. Das macht sich bemerkbar: Seit der Premiere am 30. Oktober 2014 ist beinahe jede Vorstellung im THEATER DER KELLER ausverkauft. Für Schulklassen werden dabei sogar auch außerhalb der Abendvorstellungen die Türen des Theaters geöffnet. So ist es kaum verwunderlich, dass der Publikumsmagnet “Tschick” auch nach der Sommerpause 2015 im Spielplan des Theaters zu finden ist.

Allerdings mit einer Änderung: Maik-Darsteller Emil Schwarz musste das Trio berufsbedingt verlassen. Für ihn kommt Robert Oschatz, auch ein “Kellerkind” (Abschluss 2011) und PUCK-Preisträger (2010). Knapp ein Jahr, 72 Vorstellungen und über 6000 Besucher später, hier ein Fazit zu der Inszenierung von Anna-Lena Kühner.

Passend zum Start ins neue Semester: Erstsemester bekommen gegen Vorlage ihres Studierendenausweises eine halbe Stunde vor Vorstellungsbeginn Restkarten im THEATER DER KELLER gratis!

Maik Klingenberg ist ein Loser. Er hat keine Freunde, keinen Spitzenamen und Klassenschönheit Tatjana steht natürlich erst recht nicht auf ihn. Für die Ferien bekommt er 200 Euro, bevor seine Eltern sich aus dem Staub machen: Papa auf "Geschäftsreise" mit der jungen Assistentin und Mama zur "Beautyfarm" alias Entzugsklinik. Doch dann steht Tschick, der komische Neue aus der Schule, mitsamt gestohlenem Auto vor Maiks Tür – bereit für ein Abenteuer. Wer hätte vermutet, dass es die aufregendsten Ferien seines jungen Lebens werden sollten...

Im THEATER DER KELLER wird die zum Nachdenken anregende Geschichte von Maik Klingenberg erzählt: Über das Leben und die Freundschaft, Liebe und Sex, Abenteuerlust und Ängste, Einsamkeit und Tod. "Tschick" ist ein Höhenflug mit Tiefgang, zum Lachen und zum Weinen. Die Absolventen der "Schauspielschule der Keller" Franziska Ferrari, Emil Schwarz und Manuel Bashirpour haben mit ihrer Abschlussproduktion einen echten Treffer gelandet: Wenn Wörter, die am intellektuellen Tiefpunkt der deutschen Sprache kleben, aufgesammelt, aufgeschrieben und auf die Bühne gebracht werden und zwischen spätpubertierenden Schulklassen und kulturinteressierten Weintrinker-Eliten im Cord-Blazer trotzdem jeder lacht – dann haben Autor, Regisseur und Schauspieler augenscheinlich alles richtig gemacht. Denn nicht nur einmal wird in "Tschick" mit dem sprachlichen Knüppel um sich geschlagen. Die besorgten Blicke, die zu den älteren Herrschaften in den Zuschauerreihen wandern, scheinen unberechtigt, denn sie sind begeistert. Und das ist wohl etwas, das dieses Stück auszeichnet: keine festgelegte Zielgruppe. Obgleich der Roman als Jungendroman geführt ist und die Inszenierung sich einer rauen Jugendsprache bedient.

Wolfgang Herrndorf wurde 1965 in Hamburg geboren. Nach einem Studium der Malerei an der Akademie der Bildenden Künste Nürnberg arbeitete er als Illustrator, u.a. für die Satirezeitschrift "Titanic". Sein Schriftsteller-Debüt feierte Herrndorf mit dem Roman "In Plüschgewittern". Seitdem wurde er mehrfach für seine Werke ausgezeichnet: Für "Sand" (2011) erhielt er den Leipziger Buchpreis und für "Tschick" (2010) wurde er unter anderem mit dem Deutschen Jungendliteraturpreis geehrt. Letzteres wird nun auch unter der Regie von Fatih Akin verfilmt. Ihm selbst wird der Ruhm nicht mehr zuteil. Am 26. August 2013 verstarb er, nach längerer Erkrankung, an einem Hirntumor. Post Mortem wurde 2014 "Bilder deiner großen Liebe" veröffentlicht, ein Romanfragment, an dem der Schriftsteller zuletzt gearbeitet hatte und in dem die Figuren Maik, Tschick und Isa aus "Tschick" wiederkehren.

Bühnenbild und Kostüme sind einfach und schlicht gehalten. Mehrere gut durchdachte Requisiten schaffen es, den Roadtrip von Maik (Emil Schwarz) und Tschick (Manuel Bashirpour) lebendig zu machen. Hier beeindruckt auch der musikalische Part des Stücks und insbesondere Stimmwunder Emil Schwarz. Viele der Zuschauer loben auch später die Leistung des "Tschick"-Darstellers Manuel Bashirpour. Dieser schmückt seine Rolle mit viel Witz und Charme, sodass vor allem jüngere Mädchen sich sichtlich freuen, als sich der Schauspieler nach dem Stück noch einmal im Foyer zeigt. Die Dritte im Bunde, Franziska Ferrari, tritt als wahre Verwandlungskünstlerin auf, indem sie nahezu alle Nebenrollen aus Herrndorfs Stück mimt - ohne Lücke und in Perfektion. Die Lacher sind stets auf ihrer Seite, ob als "Mama" Klingenberg, als Maiks Schwärmerei und Beyoncé-Fan Tatjana, als frühreifes Straßenmädchen Isa oder als kriegsgeschädigter kölscher Opa Horst. Zurecht erhielt Ferrari für ihre dargebotene Leistung eine Nominierung für den PUCK-Preis als Nachwuchskünstlerin. Anna-Lena Kühner und die drei Schauspieler haben es geschafft, die großen Gefühle aus dem Roman "Tschick" auf die Bühne zu bringen. Mit viel Witz und doch genügend Ernsthaftigkeit.

V.l.n.r.: Emil Schwarz, Manuel Bashirpour und Franziska Ferrari

"Die Welt ist schlecht, und der Mensch ist auch schlecht. Trau keinem, geh nicht mit Fremden und so weiter. Das hatten mir meine Eltern erzählt, das hatten mir meine Lehrer erzählt, und das Fernsehen erzählte es auch. Wenn man Nachrichten guckte: Der Mensch ist schlecht. Wenn man Spiegel TV guckte: Der Mensch ist schlecht. Und vielleicht stimmte das ja auch, und der Mensch war zu 99 Prozent schlecht. Aber das Seltsame war, dass Tschick und ich auf unserer Reise fast ausschließlich dem einen Prozent begegneten, das nicht schlecht war."1Wolfgang Herrndorf, Tschick, Hamburg 2012, S. 209

Fotos: Meyer Originals

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