Stellwerk Magazin

lit.COLOGNE Literaturschiff Juli Zeh macht Wind in Unterleuten

Vorwort

12.März 2016, Literaturschiff | lit.COLOGNE: Juli Zeh macht Wind in Unterleuten, so der Titel der Lesung auf dem Literaturschiff im Rahmen der 16. lit.COLOGNE mit Juli Zeh und Frank Plasberg.

"Juli Zeh liest nicht gerne vor, schon gar nicht ihre eigenen Texte. Willkommen zur Therapiestunde." So begrüßt Frank Plasberg das Publikum auf der lit.COLOGNE und holt Juli Zeh auf die Bühne. Das kenne aber jeder, der in der Schule schon Selbstgeschriebenes habe vortragen müssen, so Juli Zeh. Dass Plasberg diesem Leid in seiner Schulzeit entging, quittiert Juli Zeh hart aber fair mit "Weichei." Der Ton für den Abend ist gesetzt. Ob des tatsächlich unterhaltsamen Zwiegesprächs zwischen Plasberg und Zeh, erwischt man sich manchmal sogar dabei, überrascht zu sein, wenn Juli Zeh plötzlich doch liest. Aber natürlich muss auf einer Lesung gelesen werden. Aus Unterleuten nämlich, Juli Zehs neuestem Werk. Ein Gesellschaftsroman, über 600 Seiten prall gefühlt mit dem wahren Leben, das sie in ihrer Zeit als Zaungast im Dorf aus nächster Nähe beobachtet hat. Man erfährt vom Dorffunk, der immer falsch liegt, und von der Tauschgesellschaft, bei der sie ständig im Minus ist, da sie außer Schreiben nichts kann und damit ihren Nachbarn keinen Gefallen zurückzahlen könne. Sie könne doch vorlesen, schlägt Plasberg vor. Aber da, so Juli Zeh, "treffen sich die Interessen der Dorfbewohner mit meinen. Das will keiner." In Köln dafür umso mehr. Mehr als doppelt so viele Menschen als es Einwohner in Unterleuten gibt, haben sich auf dem Literaturschiff eingefunden.

Wirklich toll

Als Veranstaltungsort herrlich belanglos legt dieses erst ab, als die Lesung schon begonnen hat und legt lange vor ihrem Ende schon wieder an. So kommt man nicht dazu, die Schifffahrt tatsächlich zu erleben, man sitzt auf einem Stuhl und blickt auf eine Bühne. Fällt einem das wunderschöne Panorama, das sich einem bietet doch einmal auf, kann man – sofern man am Rand sitzt – schnell aufspringen und ein Foto vom Rheinufer machen. Das ganze unter missbilligendem Kopfschütteln derer, die ihre Handykamera brav auf die Bühne gerichtet haben, so wie man das bei einer Lesung macht. Man kann aber auch einfach aus dem Fenster schauen, um Plasbergs Blick zu entgehen, der, während Juli Zeh liest, das Publikum taxiert, ob auch ja jeder zuhört, eine Faust hat er ins Gesicht gestützt. Denn Plasberg ist selbst ein Fan des neuen Romans und seiner Schriftstellerin. Das Buch sei "wirklich toll". Denn wenn man, so wie er, ein Buch von diesem Umfang in zwei Wochen mit Familie und Beruf lese, dann müsse es toll sein. Und es sei wirklich toll. Plasbergs Begeisterung für Juli Zehs neuestes Werk bricht sich immer wieder Bahn. Wenn er ihre nächste Textstelle anmoderiert und das Wort an sie übergibt, nur um es sofort wieder an sich zu reißen, dazu müsse er noch kurz etwas sagen, oder sie etwas fragen. Oder nein – er wolle lieber raten, welcher ihr Lieblingscharakter sei, zum Beispiel. Bei ihm sei es Gombrowski. "Das habe ich mir gedacht", so Juli Zeh. Sie selbst fühle sich Kron am nächsten. Gombrowski und Kron sind die beiden Alten in Unterleuten, deren jahrzehntelange Feindschaft wie ein Schwelbrand das Dorf durchzieht und mit dem Plan eines Windparks auf dem Dorfgebiet zum Flächenbrand anwächst, der die Dorfgemeinschaft zu zerstören droht.

Unterleuten

Zehn Jahre hat Juli Zeh an Unterleuten geschrieben. Nicht ausschließlich natürlich, sie arbeitet immer an mehreren Texten gleichzeitig und braucht das Gefühl, sich nicht sicher zu sein, welcher Text zu einem Roman wird. Zehn Jahre wohnt Juli Zeh nun auch schon selbst auf dem Land. Sie und ihr Mann seien dort hängen geblieben, bei dem Versuch, von Leipzig nach Berlin zu ziehen. Wobei sie sich mit Erscheinen dieses Romans vielleicht noch einen Umzug überlegen müsse – unter falschem Namen nach Südamerika zum Beispiel. Denn die elf Personen, die der Leser in Unterleuten kennenlernt, kommen alle nicht sonderlich gut weg. Aber tatsächlich basiere keine der Personen auf ihren Nachbarn. Darauf müsse sie nicht zurückgreifen. Es gehe weniger um Figuren als um Orte: "Das Sinnliche, von wo das Licht fällt, wie riecht es dort. Dafür brauche ich Orte, an denen ich selber war." Und auch obwohl man den elf Leuten, die man im Buch kennenlernt "beim Schmutzigsein zusehen" dürfe, so betont Juli Zeh doch, dass keiner von ihnen ein schlechter Mensch sei. Denn das ganze Werk wird getragen von einer Frage: Wie kommt es, dass immer alle nur das Beste wollen und am Ende Schreckliches passiert?

Vom richtigen Tun

Den dazu passenden Ausspruch Mephistos von der "Zitatemaschine Goethe" hat Juli Zeh hilfsweise gleich korrigiert. Der Roman handelt von der Kraft, die nur das Gute will und dann das Böse schafft. (Wer jetzt auch schnell nachschaut, um zu sehen, wie es richtig heißt, kann beruhigt sein. Juli Zeh und Frank Plasberg ging es nicht anders.) Denn die meisten, wenn nicht alle Menschen seien doch davon überzeugt, das Gute, das Richtige zu tun. Für sich oder für die Gemeinschaft, als deren Teil sie sich betrachten. Das müsse man sich auch angesichts Pegida und Konsorten immer wieder vor Augen halten. So nutzt Juli Zeh den sehr kleinen Raum, der auf literarischen Lesungen für politische Statements bleibt, für eine Mahnung zur Empathie, bevor sie die Zuhörer mit Kron auf eine Gemeindeversammlung entführt. In dieser lässt Kron sich unter anderem auch über die "Selbstentlarvungsshows mit Plasberg und dergleichen" aus, was Juli Zeh vor dem gespielt empörten Ebenjenen mit "Ich kann nichts dafür, das steht da so." verteidigt. Dieser nutzt die Chance für einen Sendehinweis zur nächsten Ausgabe "hart aber fair", in der auch Juli Zeh zu Gast sein wird. Bis das Kapitel schließlich endet: "Der Saal war schläfrig geworden", liest Juli Zeh und schließt das Buch. Steht da so. Man könnte es auch aufmerksam nennen. Andächtig. Gebannt. Alles andere wäre gelogen.

Foto: Thomas Müller