Stellwerk Magazin

Interview Sampling – eine poetologische Baustelle

Vorwort

Bereits zum dritten Mal findet derzeit die Poetikdozentur TransLit an der Universität zu Köln statt. Diesjähriger Inhaber ist Thomas Meinecke, zugleich Musiker und Autor, der in seinen Poetikvorlesungen auf intermediales und interkulturelles Schreiben Bezug nimmt.

Thomas Meinecke, geboren 1955 in Hamburg, studierte Theaterwissenschaften, Neuere Deutsche Literatur und Kommunikationswissenschaft in München. Seine Romane, zu denen u.a. Tomboy (1998), Hellblau (2001),Musik (2004), Lookalikes (2011), Selbst (2016) zählen, erscheinen seit 1986 im Suhrkamp Verlag. Er ist zudem Gründungsmitglied der Band F.S.K. (Freiwillige Selbstkontrolle).

TransLit 2018

  • 16.05. Pop hat kein Problem | Universität zu Köln (Neues Seminargebäude) 18:00

  • 30.05. Sounds Diskurs| Universität zu Köln (Neuer Senatssaal im Hauptgebäude) 18:00.

  • 06.06. in dubio pro disco| Acephale, Köln, 21:00.

Sie treten nun im Rahmen der TransLit die Poetikdozentur in Köln an, zuvor waren Sie auch schon in Frankfurt a.M. Was halten Sie von Poetikdozenturen?


 Ich finde es interessant, was die jeweiligen Schreibenden über ihr Schreiben zu sagen haben. In Frankfurt habe ich mich verrannt. Ich habe mich auf poetologische Theorien gestürzt und mich später gefragt: Wieso bin ich der, um den es gehen soll, der das tut, was im Unibetrieb schon stattfindet? Ich habe eine Aversion gegen gespreizte Selbstdarstellungen, die sich als Genie präsentieren, was ja eh eine unangenehme Männerkonstruktion ist. Stattdessen könnte man mich als geschlossenes, autonomes Subjekt unterlaufen, indem man mich gar nicht sprechen lässt, sondern nur über mich gesagte Dinge zusammenträgt. Das hat mir geholfen, mich in den Blick Anderer einzuordnen.

Sie sind in der Literatur- und Musikszene tätig. Wie harmonieren diese beiden Kunstformen für Sie?

Musik ist der Hauptimpulsgeber für mein Schreiben. Sound, Technik und Genre lassen sich im Schreiben anwenden bzw. äquivalent zu dem verwenden, was in der Musik passiert. Mein liebstes Beispiel ist Swing als Mainstream-Kultur der 1940er Jahre. Jazz ist eine komplexe und exzentrische Kunstform, die von Leuten in dislocation entwickelt wurde. Plötzlich war es Mainstream und es entstand die Generation Bebop, welche die Akkordwechsel und Melodien so umgestaltete, dass es unverständlich und als nervig empfunden wurde. Es war ein Überschreiben, gleichzeitig aber auch ein Verweigern der bereits selbstverständlich gewordenen Formen. Sowas passiert in der Musik immer wieder. Mich kickt das total. Was ist denn jetzt los? Ich will es begreifen: Was ist in einem Kanon und formuliert sich wieder neu? Das Erkennen und Modulieren von Unterschieden ist das, was ich in meinen Texten mache. DJ-Culture spiegelt sich in meinen Texten; das Überblenden von zwei Platten bzw. Zitaten und das daraus entstehende Neue. Für mich ist Sampling eine vorbildliche poetologische Baustelle.

Sie beziehen einige Ihrer Ideen aus bestehenden Werken, verwenden viele Zitate und setzen sie in einen neuen Kontext. Wie beschreiben Sie den Unterschied zwischen „Sampling“ und Plagiat?


 Ich würde es aus moralisch-politischer Sicht unterscheiden. Plagiat ist, wenn man ein größeres Bild direkt übernimmt und mit diesem etwas verfolgt, das im Original gewollt war. Beim Sampling nimmt man etwas Vorhandenes und in dem Moment, wo man es für sein eigenes Werk verwendet, wird es zu etwas anderem. Aus ästhetischer Perspektive kann man nicht mehr von Plagiat reden, es ist umcodiert. Man kann es spüren, ob etwas mit Respekt geschieht oder durchtrieben ist.

Spätestens seit Ihrem Roman Tomboy sind Sie einer der Autoren der Pop-Literatur. Was hat Ihr Interesse an diesem Genre geweckt?

Ich habe nicht selber gesagt, dass ich Popliterat bin. Es war ein Begriff, der plötzlich aufkam, weil es viele Autoren gab, bei denen der Begriff Pop vorkam. Ich habe keine Berührungsangst, aber ich hätte auf meine Visitenkarte nicht „Popliterat“ geschrieben.

Was bedeutet POP bzw. POP-Literatur für Sie?

Mir wurde mal gesagt, dass es schlimm wäre, dass bei meinen Romanen real existierende Bandnamen vorkommen. Man würde die irgendwann vergessen und meinen Roman damit auch. Ich finde es interessant, dass man Vergessenes noch in die Hand nehmen kann. Es ist die Aufgabe derjenigen, die es schreiben, es nicht nur zu nennen, sondern auch zu vermitteln. Nicht als Nerdwissen, bloßes Namedropping, sondern so, dass Leute aus einer anderen Ecke es auch begreifen. Das ist ein Unterschied, den ich mache; ob ein Text selber wie Pop funktioniert oder ob man in normaler Erzählweise cooles Wissen droppt.

Sie haben das Prinzip des Namedropping genannt. Wie erklären Sie, dass Sie Namen wie Jacques Derrida, Roland Barthes, Beyoncé und Shakira in einem Atemzug nennen?

Ich mache keinen Unterschied zwischen Hochkultur und dem Anderem; für mich sind das alles rumfliegende Daten. In einem Roman kommt Claudia Schiffer vor. Der Grund dafür ist ganz einfach: Zu meinem 40. Geburtstag wurde mir eine zusammengestellte Seite von Namen geschenkt, die am gleichen Tag wie ich Geburtstag haben. Aufgelistet waren Claudia Schiffer und Erich Honecker, aber auch der Todestag von Aaliyah und Nietzsche. Nietzsche und Aaliyah sind an meinem Geburtstag gestorben! Es wäre interessant, damit was zu machen! In der Differenz zwischen einer realen Person und einer Figur, die in meinem Roman deren Namen trägt, kann das Performative abgebildet werden. Für mich hat es was Experimentelles; in etwas reinschreiben, das schon vorformuliert ist und in mir den Reiz weckt.

Wer sind Ihre literarischen Vorbilder?

Ich habe keine Vorbilder im Sinne von So-schreiben-wollen-wie-die, aber So-viel-gelernt-haben. Wenn wir schon bei dem Begriff Pop sind, dann gehört für mich das Paris des 19. Jahrhunderts dazu. Eine in elektrischem Licht erleuchtete Stadt, zelebrierte Anonymität und Leute wie Charles Baudelaire und Edgar Allan Poe, die Schminke, das Künstliche und Anonyme beschrieben haben. Judith Butler ist für mich wegweisend! Sie erzählt ihre Theorien sehr narrativ, welche an literarischer Qualität gewinnen. Es ist eine verschriftlichte Recherchebewegung, die den Text über sich selbst grübeln lässt. Ich habe das Gefühl, dass das Projekt mit Butler noch nicht abgeschlossen ist. So wie andere durch Marx zu etwas gekommen sind, bin ich durch Butler zu meinem Bergwerk gekommen, an dem ich mein Leben lang arbeiten kann.

Ist der Thomas Meinecke von früher auch der von heute? Was hat sich musikalisch wie literarisch für Sie verändert?

Die Tragik ist, dass ich Tomboy nicht mag. Bei Lesungen merke ich, dass mir die Sprache nicht gefällt. Ich falle in die Sprache zurück, die ich überwinden will. Grund dafür ist, dass manches nur wie ein Slapstick gesagt werden kann, es mir dann aber doch zu witzig ist. Das ist der Antrieb, um etwas Besseres zu schreiben. Zwei Jahre nach Tomboy erschien der Roman Hellblau, in dem ich einige Fehler ausgebessert habe und womit ich momentan im Reinen bin. Das ist aufgrund der laufenden Umstände aber nicht für die Ewigkeit.

Verraten Sie uns doch vielleicht zum Schluss noch Ihre drei All-Time-Favourite Platten, Ihre aktuellste Neuentdeckung und Ihre liebste Songzeile?

Als Songzeile fällt mir von David Bowie "You are such a wonderful person but you got problems“ (Breaking Glass) ein. Es schien mir damals revolutionär gegen die Protestsongs. The Velvet Underground & Nico ist das Album, das mich in jungen Jahren am meisten geflasht hat; die Band verfolgte die Idee von Rockmusik in einer ozeanischen, im guten Sinne, unmännlichen Perspektive. Aber auch Thelonious Monk als Vertreter des Bebops würde ich dazu zählen. Mir würden Künstler aus dem Soul einfallen, aber auch aus den 2000er Jahren, insbesondere Frauen, welche zuerst als Eye-Candy im Hintergrund zu sehen waren, aber dann selber das Mikrofon in die Hand genommen haben. Von aktuellen Künstlern finde ich Arca und Jlin klasse. Aber das ist das Schlimme, mir würden gleich 30 Leute einfallen!