Stellwerk Magazin

Jenseits der Verwertungslogik

Vorwort

Sein Idealismus basiert auf der Grundlage hegelscher Dialektik, Adornos Kapitalismuskritik sowie der marxistischen Theorie und entlädt sich in kraftvollem Rap. In seinen Musikvideos wehen Antifa-Flaggen und in den berüchtigten OneTakeClips macht er seine politische Haltung zu aktuellen Geschehnissen unmissverständlich klar: Der Hamburger Rapper Disarstar.

Disarstar befindet sich derzeit auf dem aufsteigenden Ast in der Deutschrap-Szene. Mit seinen beiden ersten Alben „Kontraste“ (2015) und „Minus x Minus = Plus“ (2017) erreichte der Musiker jeweils die Top 20 der deutschen Album-Charts. Nun hat er mit „Klassenkampf & Kitsch“ Anfang März schon seine vierte Platte vorgelegt. Sein Erscheinungsbild entspricht ziemlich genau den Vorstellungen, die man von einem Rapper aus St. Pauli hat – kurz geschorene Haare, dicker Bizeps, tätowiert und meistens eine Fluppe in der Hand. Doch so wenig wie sich das Aussehen von Gerrit Falius alias Disarstar mit dessen theoretisch fundierter Gesellschaftskritik zusammenbringen lässt, so wenig stehen auch die Themen in Zusammenhang, denen er sich in seiner Musik widmet. Diese reichen von Beziehungsthemen bis hin zu antikapitalistischen Botschaften und reflektierten Blicken in die Vergangenheit – es gibt keinen roten Faden; So auch in seinem aktuellen Album „Klassenkampf & Kitsch“, das neben Kapitalismuskritik auch persönliche und emotionale Momente zulässt. Zusammengehalten wird das Ganze von einem Authentizitätsversprechen, das sich von den musikalischen Anfängen bis heute durch Disarstars Kunst zieht. Mit 17 Jahren schon rappt er reflektiert über die Probleme von Identitätsfindung und Orientierungslosigkeit und hat dabei sein Feindbild – den Kapitalismus – bereits im Blick. Seine rebellische Haltung äußert sich im Schule-Schwänzen, Trinken mit den Jungs und diversen Gesetzesverstößen. Dass er diese Abwärtsspirale nicht bis nach ganz unten rutscht, verdankt er einem Sozialarbeiter, der schnell Falius’ Talent für das Texten und Rappen erkennt und ihn darin bestärkt weiterzumachen, wie Disarstar heute noch häufig in Interviews erzählt1https://www.youtube.com/watch?v=sP5airciPXE. Die Vergangenheit ist maßgeblich für seine Musik.

Klare Kante

Im Gegensatz zu vielen anderen KünstlerInnen, die sich mit ihrer politischen Meinung in der Öffentlichkeit eher bedeckt halten, nutzt Disarstar die Musik um auf gesellschaftliche Missstände aufmerksam zu machen und schreckt nicht davor zurück, explizit linke Positionen in seine Texte einfließen zu lassen: In „Robocop“ werden PolizistInnen mit staatlich gesteuerten Robotern gleichgesetzt, Ungleichheiten werden aufgedeckt und in „Alice im Wunderland“ bekommt AfD-Politikerin Alice Weidel ihr Fett weg – für Disarstar gibt es so einiges zu kritisieren am bestehenden System.

Auch aktuelle politische Geschehnisse lässt er nicht unkommentiert. Neben Studioalben veröffentlicht er regelmäßig bei Youtube seine sogenannten OneTakeClips – kurze Songs, die er nutzt, um jenseits der Verwertungslogiken der Musikindustrie seine Botschaften in die Welt hinauszukatapultieren. In dem zuletzt veröffentlichten OneTake#24 ist vor allem das Flüchtlingslager auf Lesbos ein zentrales Thema: „Zur Hölle mit der liberalen Bonzenpolitik / frag’ Menschen in Moria ob es Chancengleichheit gibt“.

Selbstoffenbarung statt Propaganda

Und obwohl die Mitteillungen in Disarstars Texten so kristallklar sind, kommt es ihm nicht darauf an, seine ZuhörerInnen von seiner politischen Haltung zu überzeugen. Er versteht seine Kunst vielmehr als Selbstoffenbarung. In einem Interview mit der „Juice“ betont er, dass Kunst für ihn nichts müsse, entscheidender sei der Drang sich mitzuteilen und die Resonanz, die er von seinen ZuhörerInnen zu seiner Person und seiner Musik bekomme2https://juice.de/klassenkampf-kitsch-eine-runde-um-den-block-mit-disarstar-feature/.

Und das gilt nicht nur in puncto Politik: Ohne Hemmungen Schwäche zu zeigen, wie es im noch immer von Männlichkeitsgesten überladenen Deutschrap nicht gerade üblich ist, verhandelt er ebenso Panikattacken, Depressionen und das Gefühl von Ausweglosigkeit: „Auch wenn du oft genug dachtest, hier geht’s nicht weiter, hier wird es scheitern / War keiner der vielen Tiefpunkte das Ende / Nicht die Panikattacken mit zehn / Nicht der Flug von der Schule mit elf / Nicht das Glauben verlieren an das Gute der Welt / Die Jahre voll Wut auf dich selbst“ heißt es in „All die Jahre“. Begleitet von melancholischer Musik richtet er sich mit tiefer und rauer Stimme an sein von Selbstzweifeln und Ohnmachtsgefühlen geplagtes jüngeres Ich: „Ich sag’: Hab keine Angst‚ / Verlass’ dich auf das, was du kannst / Und halt’ dich daran fest / Geht es auch wieder am Abgrund entlang“.

Jenseits der Verwertungslogik

Disarstars Mitteilungsdrang erstreckt sich über politische Statements hinaus auch auf Themen psychischer Gesundheit. Die Vielseitigkeit in seiner Musik ist nach wie vor geblieben: harter Rapper aus St. Pauli, gleichzeitig gefühlvoll und manchmal auch verletzlich. Darüber hinaus politisch, philosophisch, energiegeladen, verzweifelt, hoffnungsvoll und vieles mehr. Damit positioniert er sich allerdings nicht nur politisch am äußersten Rand. In der Deutschrap-Szene ist das Bestreben jedes Künstlers und jeder Künstlerin groß, eine Art Marken-Status zu erreichen, der Erwartungshaltungen produziert und durchaus auch über Erfolgschancen entscheidet. Haftbefehl, auch bekannt als „Ghetto-Goethe“, zeichnet sich beispielsweise dadurch aus, dass er ungeschönte Zustandsbeschreibungen aus sozialen Brennpunkten in tiefe und gehaltvolle Texte verwandelt; Samy Deluxe machte die deutsche Hip-Hop-Kultur groß und gilt als einer der Urväter des Deutschraps. Disarstar entzieht sich solchen klaren Zuschreibungen und damit wiederum auch ein Stück weit der Verwertungslogik der Musikindustrie. Gerrit Falius schwimmt trotz seines zunehmenden Bekanntheitsgrades noch immer als ein relativ kleiner Fisch im großen Rap-Teich. Aber vielleicht ist genau das der Ort, an dem er sein will. Und auch der Ort, an dem er sein muss, um die Musik machen zu können, die alle seine Facetten zum Ausdruck bringen – wenn auch ohne Aussicht auf den großen Erfolg.

Foto: © Andreas Hornoff